Der UNO-Sicherheitsrat hat ein erstes Treffen zu den Kämpfen in der äthiopischen Region Tigray ohne eine gemeinsame Erklärung beendet. Südafrika habe um mehr Zeit für die Bemühungen der Afrikanischen Union gebeten. UNO-Sprecher Stéphane Dujarric betonte, dass die Afrikanische Union an erster Stelle der internationalen Bemühungen stehe und der UNO-Generalsekretär diesen Ansatz unterstütze.
Nun hat Äthiopiens Regierungschef Abiy Ahmed im Konflikt mit der abtrünnigen Region Tigray eine Militäroffensive auf die Regionalhauptstadt Mekelle angeordnet. Er habe die Armee angewiesen, "die dritte und letzte Phase" im Vorgehen gegen die in Tigray regierende Volksbefreiungsfront TPLF einzuleiten, erklärte Abiy am Donnerstag auf Twitter.
Die Frist für eine Kapitulation sei verstrichen. Bei dem Angriff werde "alles getan", um die Zivilbevölkerung zu schützen und Mekelle vor "größerem Schaden" zu bewahren.
Abiy trat als Friedensbringer an
Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed hatte seit seinem Amtsantritt 2018 politische Gefangene freigelassen, Frieden mit dem Nachbarn Eritrea geschlossen und freie Wahlen angekündigt. Doch Oppositionsparteien fühlten sich von seinem Reformprozess bald ausgeschlossen. Erschwerend kam hinzu, dass der Premier vom Volk nie gewählt, sondern von der Regierungspartei ernannt wurde. Die für heurigen Juni geplanten Wahlen hatte er wegen der Corona-Pandemie verschoben.
Immer wieder kommt es in verschiedenen Landesteilen Äthiopiens zu Kämpfen und Auseinandersetzungen. In mehreren Regionen des Vielvölkerstaats operiert eine Reihe bewaffneter Rebellen gegen die Zentralregierung. Der Konflikt im Norden des Landes, in der Region Tigray, ist kein Einzelfall, doch wird die Lage dort immer prekärer. Äthiopien, eine Föderation aus zehn ethnischen Regionen, wurde jahrzehntelang von Tigray dominiert, bis Abiy vor zwei Jahren Ministerpräsident wurde. Er selbst gehört der Bevölkerungsmehrheit der Oromo an und hat auch familiäre Wurzeln in Amhara.Ministerpräsident Abiy Ahmed beharrt auf seiner Stragegie: Im Konflikt mit der in Tigray regierenden TPFL-Bewegung setzt der Friedensnobelpreisträger des Jahres 2019 auf die Macht des Militärs.
Eine diplomatische Vermittlung durch die Afrikanische Union stand Abiy bisher ablehnend gegenüber. Er verkündete stattdessen, dass seine Armee eine schnelle Entscheidung herbeiführen werde.
Hintergrund zur TPLF
Die Volksbefreiungsfront von Tigray( englisch: Tigray People’s Liberation Front, Kürzel TPLF) in Äthiopien ist eine ehemalige marxistisch-leninistische Befreiungsbewegung und heutige Partei in der äthiopischen Region Tigray. Die Partei war die beherrschende Kraft in der Koalition Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker (EPRDF), die Äthiopien bis 2019 regierte. Zudem stellt die TPLF in der äthiopischen Region Tigray die Regionalregierung.
TPLF stellen nur fünf Prozent der Bevölkerung
Ministerpräsident Abiy Ahmed versucht seit seinem Amtsantritt 2018, die Macht der TPLF, die vor allem die Sicherheitsapparate des Landes beherrschte, zu beschneiden. Die Befreiungsfront wehrt sich, deshalb gibt es den Krieg seit 4. November. In Äthiopien mit 115 Millionen Einwohnern stellen die Bewohner Tigrays nur fünf Prozent der Bevölkerung.
Es besteht allerdings die Gefahr, dass sich die Kämpfe zwischen Soldaten der Zentralregierung in Addis Abeba und den Streitkräften in Tigray ausweiten. Flüchtlinge berichteten, Milizionäre aus Amhara unterstützten die von Ministerpräsident Abiy Ahmed entsandten Truppen im Kampf gegen die Tigray Volksbefreiungsfront (TPLF). Zudem liegen Tigray und Amhara seit längerem im Streit über den Verlauf ihrer Grenze.
Zehntausende auf der Flucht
In den eskalierenden Kämpfen zwischen den Regierungstruppen und Streitkräften der TPLF sind bereits Hunderte Menschen getötet worden. Zehntausende sind auf der Flucht. Abiy wirft der in Tigray regierenden TPLF vor, einen bewaffneten Aufstand angezettelt zu haben. Die Partei dagegen hält Abiy vor, er verfolge sie und vertreibe ihre Politiker von Regierungs- und Sicherheitsposten. Auslöser der Kämpfe ist nach Darstellung der Regierung in Addis Abeba ein bewaffneter Angriff von TPLF-Kräften auf in Tigray stationierte Regierungstruppen.
Wegen des Konflikts in Äthiopien sind nach Angaben von Unicef rund 2,3 Millionen Kinder dringend auf Hilfe angewiesen. Die Kinder in der Region Tigray seien wegen des "eingeschränkten Zugangs und des anhaltenden Kommunikationsstillstands" für humanitäre Hilfe unerreichbar, erklärte die Chefin der UN-Kinderhilfsorganisation, Henrietta Fore, in der Vorwoche. In Flüchtlingslagern und Registrierungszentren im benachbarten Sudan seien weitere rund 12.000 teils unbegleitete Kinder in Gefahr.
Es müsse alles unternommen werden, um die Kinder zu schützen und zu verhindern, dass sie als Kämpfer rekrutiert würden, sagte Fore. Sie forderte die Konfliktparteien auf, den Zugang für humanitäre Organisationen zu ermöglichen.
Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) warnte bei einer Videokonferenz der EU-Außenminister in der Vorwoche: "Der militärische Konflikt in Äthiopien ist brandgefährlich. Es braucht nur wenige Schritte bis zum Flächenbrand, wenn etwa die ethnischen Spannungen in anderen Regionen des Landes entzündet werden - mit unabsehbaren Folgen für die territoriale Integrität." Es müsse unbedingt verhindert werden, dass der Konflikt auf das benachbarte Eritrea übergreift oder der Sudan durch massive Fluchtbewegungen destabilisiert werde, forderte Schallenberg. Die EU-Außenminister würden die Vermittlungsbemühungen der Afrikanischen Union voll unterstützen. Aktuell stießen diese Bemühungen allerdings auf taube Ohren.
Der designierte US-Präsident Joe Biden mahnte über einen Vertrauten ein Ende der Kämpfe im Norden Äthiopiens und den Schutz der Zivilbevölkerung an. "Tief besorgt über die humanitäre Krise in Äthiopien, Berichte über gezielte ethnisch motivierte Gewalt und ein Risiko für regionalen Frieden und Sicherheit", erklärte der künftige US-Außenminister Außenpolitiker Antony Blinken auf Twitter. Die Konfliktparteien sollten die Kämpfe unmittelbar beilegen, den Zugang für humanitäre Hilfe ermöglichen und die Zivilbevölkerung schützen.