Vor wenigen Tagen erst verkündete Johnsons Kommunikationschef Lee Cain seinen Rücktritt, nun legt auch der Regierungsbeamte Dominic Cummings sein Amt nieder. Mitten in der Endphase der Brexit-Verhandlungen mit der EU gibt einer der Architekten der Austrittskampagne im Lager um Premierminister Boris Johnson auf. Dominic Cummings bestätigte der BBC, dass sich seine Mitwirkung in der Regierung bis zum Jahresende weitgehend erledigt haben dürfte.
Der Sender berichtete weiter unter Berufung auf einen nicht näher genannten Insider, dass Cummings bis Weihnachten aus der Regierung ausscheiden werde. Er komme damit einem Rausschmiss zuvor.
Er gehört zu den mächtigen Brexiteers, die den EU-Austritt Großbritanniens für eine historische Errungenschaft halten und seit geraumer Zeit den Ton in der Downing Street angeben. Cummings hatte maßgeblich zum Aufstieg Johnsons beigetragen und genoss dessen Vertrauen. Vom Wahlkampfexperten stammt der berühmte Slogan: "Get Brexit done", mit dem Johnson bekanntlich großen Erfolg hatte. Cummings ist der Mann, auf den der britische Premier keinesfalls verzichten wollte. Auch nicht heuer im Frühjahr, als Cummings beim Brechen der Coronaregeln erwischt wurde.
Nach dem Studium in Oxford hielt sich Cummings für drei Jahre von 1994 bis 1997 in Russland auf und versuchte unter anderem, eine Fluggesellschaft aufzubauen, die Samara, Russlands sechstgrößte Stadt, mit Wien verbinden sollte. Cummings spricht fließend Russisch.
Im Zuge des EU-Mitgliedschaftsreferendums im Vereinigten Königreich 2016 leitete Cummings den Wahlkampf für die Kampagne "Vote Leave", die sich für den Brexit einsetzte. Er war dabei unter anderem für einen roten Bus verantwortlich, auf den er den Satz „We send the EU £350 million a week – let’s fund our NHS instead“ hatte schreiben lassen. Die Aussage war zwar falsch, hatte nach Ansicht der Polit-Experten dennoch bedeutenden Einfluss auf das Ergebnis der Brexit-Abstimmung. Der frühere britische Premierminister David Cameron warnte schon früh eindringlich vor Cummings, denn dieser sei ein "Karrierepsychopath".
Johnson schätzte Cummings lange Zeit sehr, denn Cummings wusste auch sehr viel. "Er wird als ,loose cannon', als tickende Zeitbombe, gesehen, so jemanden will man nicht außerhalb des Teams haben", erklärte uns die britische Politologin Melanie Sully noch im Frühjahr.
Gezänke statt Problemlösung
"Millionen Leute wachen heute Morgen auf, kratzen sich am Kopf und fragen: Was in aller Welt ist los?", empörte sich der britische Oppositionschef Keir Starmer über das Ränkespiel in Downing Street 10. "Wir sind mitten in einer Pandemie, wir sorgen uns alle um unsere Gesundheit und unsere Familien - und dieser Haufen zankt sich."
Cain war Johnsons oberster Spin-Doctor. Noch am Mittwoch war Cain für den wichtigen Posten des Stabschefs gehandelt worden. Doch dann verkündete Cain am späten Mittwochabend plötzlich und ohne Begründung, dass er mit Jahresende geht. Seitdem wird über die Hintergründe spekuliert: Spürte Cain als möglicher Stabschef den scharfen Gegenwind? War die Abneigung von Johnsons Verlobter Carrie Symonds gegen Cain zu groß? Geht deshalb auch Cains engster Verbündeter und Strippenzieher Dominic Cummings? Und geht vielleicht sogar Brexit-Unterhändler David Frost?
Frost ist der Mann, der nach monatelangen Verhandlungen mit seinem EU-Gegenspieler Michel Barnier in diesen Tagen eigentlich einen umfassenden Handelspakt mit der EU unter Dach und Fach bringen soll. Die Zeit ist quasi abgelaufen, denn schon zu Jahresanfang müsste ein solches Abkommen in Kraft treten. Dann endet nach dem britischen EU-Austritt auch die Mitgliedschaft im Binnenmarkt und in der Zollunion.
Das Gerücht um Frosts Abtritt erwies sich vorerst als nicht belegt.
Dennoch schreiben britische Medien: "Das ist der Anfang vom Ende der mächtigen Brexiteers."