Die APA erreichte den gebürtigen Wiener Gottfried Helnwein (72), der jeweils mindestens ein halbes Jahr in den USA lebt, an seinem Wohnsitz in Irland. "Ich stehe auf keiner Seite, ich versuche nur einen objektiven, klaren Blick zu haben und mir meine eigene Meinung zu bilden - auch, wenn das sehr einsam macht. Aber wie sagt Mark Twain: 'Wann immer du dich an der Seite der Mehrheit befindest, ist es Zeit, eine Pause einzulegen und zu reflektieren'", betont der bildende Künstler, der sich in seinem Werk intensiv mit der von den USA geprägten Popkultur auseinandergesetzt hat und ein Atelier in Los Angeles besitzt.

Helnwein findet bei Trump auch Positives im Vergleich zu dessen Vorgänger Barack Obama: "Trump war ein Außenseiter, ein Störenfried. Er hat nicht zum politischen Establishment gehört. Für seine Wähler, die Verlierer des Systems, wirkte er authentisch und hat es so geschafft, als Milliardär zum Working-Class-Hero aufzusteigen. Objektiverweise muss man feststellen, dass er der erste US-Präsident seit langem war, der keinen neuen Krieg begonnen hat. Friedensnobelpreisträger Barack Obama hat eigentlich nur die Politik von George W. Bush konsequent fortgeführt, ein Drohnenprogramm gestartet, das tausende zivile Opfer gekostet hat, und Libyen hat er in die Steinzeit zurückgebombt."

Den bei der Wahl erfolgreichen demokratischen Bewerber sieht Helnwein durchaus kritisch: "Biden ist eine Mogelpackung. Er wird immer als der Gütige und Nette dargestellt, doch er hat in seinen 40 Jahren als Politiker jeden Krieg der USA uneingeschränkt unterstützt. Man kann also davon ausgehen, dass der Military Industrial Complex dort fortsetzen wird, wo Bush und Obama aufgehört haben, und Syrien, Iran und schließlich Russland stehen ganz oben auf der Liste der Targets."

Auch der Gesundheitszustand des kommenden Präsidenten, der bei seinem Amtsantritt 78 Jahre alt sein wird, sei bedenklich: "Dazu kommt, dass Biden unter fortgeschrittener Demenz leidet. Teile seiner Reden, in denen er völlig verwirrt dahinstammelt, werden von der Mainstream-Presse ignoriert und aus dem Internet entfernt. Ronald Reagan hat am Ende seiner Amtszeit bereits eindeutig unter Demenz gelitten, aber Biden befindet sich in diesem Zustand bevor er sein Amt überhaupt angetreten hat", so der Künstler.

"Nach dieser Wahl wird das Land so gespalten sein wie noch nie", ist sich Helnwein sicher. Und die verheerenden sozialen Missstände in den USA würden so oder so nicht beseitigt werden, glaubt er: "Es ist nicht anzunehmen, dass sich daran etwas ändern wird. Es ist seit langem das System eines unfassbaren Raubkapitalismus. Daran hat Trump nichts geändert, und daran wird auch Biden nichts ändern."

Michael Köhlmeier: "Joe Biden scheint charakterlich das Gegenteil seines Vorgängers zu sein"
Michael Köhlmeier: "Joe Biden scheint charakterlich das Gegenteil seines Vorgängers zu sein" © APA

Ganz anders lautet die Einschätzung von Michael Köhlmeier (71): "Joe Biden scheint charakterlich das Gegenteil seines Vorgängers zu sein. Einer, der einstecken kann, wird im Boxsport 'ein Mann mit Herz' genannt. Das Gute ist zäh. Bidens bisherige Karriere zeigt, dass er Kompromisse aushandeln und Kompromisse ertragen kann", kommentierte der österreichische Autor in einem kurzen Statement gegenüber der APA die Wahl Joe Bidens zum nächsten US-Präsidenten.

"Das Beste seines Vorgängers, nämlich dass er keinen Krieg begonnen hat, wird er hoffentlich fortsetzen. Mein ewiger Wunsch an jede Politik: Sie möge nicht in Versuchung geraten, mit möglichst viel Un-Langweiligkeit Stimmen zu gewinnen", so der Schriftsteller, der seine große Affinität zur amerikanischen Kultur u.a. in seinen Roman "Abendland" (2007) einfließen ließ. "Ich freue mich über den Sieg von Joe Biden."