Er ist seit zwölf Jahren ein Wandler zwischen den Welten und in seiner Funktion als Chefdirigent des renommierten Pittsburgh Symphony Orchestras ein profunder Kenner der USA: Manfred Honeck. Das Wahlergebnis in den USA ist für den mehrfach mit Grammys ausgezeichneten Dirigenten denn auch nicht unerwartet gekommen, wie er im APA-Gespräch betont: "Dass es so knapp geworden ist, hat mich nicht überrascht." Zugleich gebe es nichts zu beschönigen: "Die Spaltung ist groß - die USA sind ein Land der Extreme."
Dennoch zeigt sich der 62-jährige Vorarlberger im APA-Gespräch optimistisch bezüglich der kommenden Jahre: "Mit der Politik ist es oft wie in der Musik: Da gibt es Höhen und Tiefen. Wenn Sie einen dissonanten Akkord haben, löst der sich meist in Harmonie auf. Ich glaube daran, dass sich die Wogen glätten werden."
Hatten Sie den letztlich doch deutlich knapper als prognostizierten Wahlausgang erwartet?
Manfred Honeck: Dass es so knapp geworden ist, hat mich nicht überrascht. In meinem Freundeskreis war relativ klar, dass die Prognosen vermutlich wieder eher falsch liegen. Das liegt vielleicht auch an der Kultur. Zumindest in Pittsburgh sind die Menschen tatsächlich sehr zurückhaltend mit ihrer politischen Meinung. Wir haben im beruflichen Kontext niemals über Politik gesprochen.
In Europa herrscht weitgehendes Unverständnis, dass Donald Trump immer noch beinahe die Hälfte des Landes hinter sich hat. Können Sie das erklären?
Manfred Honeck: Trump hat durch sein unkonventionelles Verhalten viele Menschen irritiert. Aber vor Corona ist die Wirtschaft unter ihm floriert, und er hat sich stark für die Religiösen eingesetzt. "Er mag vielleicht ein widerlicher Kerl sein, aber was er macht, ist gut", scheint mir überdies eine allgemeine Haltung vieler Republikaner zu sein. Die Wähler in den USA schauen gar nicht so sehr auf die konkrete Person, sondern darauf, was diese konkret tut. Das ist beim Dirigentenberuf hier ganz ähnlich. (lacht)
Dennoch gibt es derzeit eine extreme Polarisierung der US-Gesellschaft. Hat ein Präsident Joe Biden hier die Chance, Gräben zu überwinden?
Manfred Honeck: Bei Joe Biden finden auch einige eine Heimat, die von Trumps Verhalten angewidert sind. Und die Spaltung ist groß - die USA sind ein Land der Extreme. Er wird es deshalb sehr, sehr schwer haben, die Kluft in der Gesellschaft zu überwinden. Die Sehnsucht danach ist aber andererseits sehr groß geworden. Er ist als Persönlichkeit sehr umgänglich und ein Mensch mit viel Empathie, der Schicksalsschläge überwunden hat. Ob er sich, der ja auch nicht der Jüngste ist, in diesem Gefüge durchsetzen kann und die richtigen Mitarbeiter engagiert, das ist nun die entscheidende Frage.
Macht es für Sie als Musiker letztlich irgendeinen Unterschied, dass Joe Biden nun Donald Trump ablöst, zumal die Bundesebene in den USA in der Kulturförderung ja in keiner Weise präsent ist?
Manfred Honeck: Für uns ist aber entscheidend, wie das allgemeine Klima für die Kultur ist. Natürlich stehen in der amerikanischen Politik immer die guten Zahlen der Wirtschaft im Fokus, aber das spiegelt auch auf uns zurück. Die Kulturszene wird in den USA ja im Wesentlichen von privaten Sponsoren finanziert, was leichter fällt, wenn die Wirtschaft gut läuft. Denn dass man hier das europäische System der Kulturpolitik einführt, glaube ich nicht.
Konkret haben Sie nun zumindest bis Jahresende alle Konzerte der Pittsburgh Symphony abgesagt...
Manfred Honeck: Wir gehen in Pittsburgh einen anderen Weg als etwa die Met, die gleich ihre ganze Saison abgesagt hat. Wir gehen schrittweise vor. Aber ich vermute, dass wir den Plan, den wir für den Frühling ursprünglich hatten, so nicht umsetzen können. Die Grundfrage für alle Kultureinrichtungen ist dabei, wie wir die Bindung zum Publikum aufrechterhalten können. Wenn eine Institution ein Jahr geschlossen hat, haben sich viele Besucher schon andere Hobbys gesucht. Die Menschen hier wiederzugewinnen, könnte weit länger dauern, als man jetzt glaubt.
Wie blicken Sie abschließend auf die kommende Präsidentschaft Biden für die USA?
Manfred Honeck: Ich bin ein sehr optimistisch eingestellter Mensch. Mit der Politik ist es oft wie in der Musik: Da gibt es Höhen und Tiefen. Wenn Sie einen dissonanten Akkord haben, löst der sich meist in Harmonie auf. Ich glaube daran, dass sich die Wogen glätten werden.
Martin Fichter-Wöß/APA