"Die Wall Street wird bei mir nicht mit Mord davonkommen!“ Donald Trump sendete während seines Wahlkampfes 2015 und 2016 eine unmissverständliche Botschaft an den wichtigsten Finanzplatz der Welt aus. „Die Wall Street hat enorme Probleme verursacht“, mahnte er im Jänner 2016 in einer Rede in Iowa und versprach: „Wir werden die Wall Street besteuern.“ Wiederholt unterstrich der New Yorker Milliardär, dass er die Rettung der Mittelklasse vor der Habgier der Finanziers als eine seiner Hauptaufgaben als Präsident sehen werde. Im Wahlkampffinale beschuldigte er Hillary Clinton schließlich, mit den internationalen Banken unter einer Decke zu stecken und die „Zerstörung” von Amerikas Souveränität zu planen, „um die Finanzmächte dieser Welt reicher zu machen“.
Die Wall Street, die sich auf Kosten der Main Street bereichert – seit Jahrzehnten ist das eines der Leitmotive amerikanischer Wahlkämpfe. Trump war keine Ausnahme. Was ihn aber von moderateren demokratischen und republikanischen Kandidaten im Jahr 2016 unterschied, war die gekonnte Verknüpfung von Systemkritik und Kulturkampf. Anstelle von bekannten Patentrezepten wie der weiteren Deregulierung der Finanzmärkte (beliebt bei Republikanern) oder härteren Finanzkontrollen und Compliance-Regeln (favorisiert von Demokraten), versprach Trump die Globalisierung selbst zu unterbinden. Seine Mauer an der Grenze zu Mexiko sollte nicht nur illegale Einwanderer stoppen, sondern auch Firmenabwanderungen und die Einfuhr von Billiggütern verhindern. Trump verschmolz Wirtschafts- und Identitätspolitik. Er erkannte, dass viele Wähler weniger die steigende wirtschaftliche Ungleichheit in den USA störte als vielmehr das globalisierte Wirtschaftssystem, das Amerikas Arbeiterklasse und der unteren Mittelschicht schleichend die Identität zu rauben schien.
Die verheerende Krise von 2008
Trump schneiderte seine Botschaften ganz für die Verlierer der Globalisierung zurecht. Deren Anzahl ist vor allem seit der Finanzkrise 2008, die die Arbeiterklasse („Blue Collar Class“) besonders hart traf, stetig angestiegen. Durch die von der Wall Street verursachte Rezession gingen über fünf Millionen Blue-Collar-Jobs unwiederbringlich verloren. Die Krise kostete die USA sagenhafte 25 Billionen Dollar. Insgesamt verschwanden zwischen 1998 und 2018 dem Economic Policy Institute zufolge allein im Produktionssektor 5 Millionen Arbeitsplätze. 91.000 Fabriken mussten zusperren.
Trump machte im Wahlkampf dafür Freihandelsabkommen wie Nafta verantwortlich, das 1994 zwischen Mexiko, Kanada und den USA geschlossen worden war. Dessen Auswirkungen auf die US-Wirtschaft waren dem Congressional Research Service nach freilich moderat. Viele amerikanische Betriebe verlagerten in den letzten Jahrzehnten ihre Produktion in andere Billiglohnländer. Nach Angaben des Economic Policy Institute ging die Mehrheit der Jobs in der Produktion an China verloren: Seit 2001 waren es 3,7 Millionen. Doch das Nafta-Abkommen und die Wall Street waren 2015 und 2016 für Trump die effektiveren Sündenböcke als China, obwohl er oft auch gegen Peking wetterte. Nafta war das perfekte Sinnbild für eine ausufernde Globalisierung, die Amerikas Arbeitern nicht nur wirtschaftlich schadet, sondern auch ihre Identität dem freien Verkehr von Menschen und Waren opfert. Das Mantra des US-Verteidigungsministers Charles Wilson aus dem Jahr 1953, dass das, was gut für die USA sei, „auch gut für General Motors ist und umgekehrt“, schien seine Gültigkeit eingebüßt zu haben.
Das "Vergoldete Zeitalter"
Trump knüpfte mit seiner Antiglobalisierungskampagne 2016 an die Tradition amerikanischer Populisten aus dem späten 19. Jahrhundert an, die im sogenannten „Vergoldeten Zeitalter“ („The Gilded Age“) die steigende wirtschaftliche Ungleichheit und die Finanzpolitik der Washingtoner Regierung kritisiert hatten. Der Ausdruck „Vergoldetes Zeitalter“ (1870–1900) geht auf den Schriftsteller Mark Twain zurück, der unter dem Motto „Es ist nicht alles Gold, was glänzt“ die Oberflächlichkeit des wirtschaftlichen und technologischen Aufschwungs kritisiert hatte, der mit enormer sozialer Ungleichheit und Armut vor allem unter der stetig wachsenden Arbeiterschicht, viele davon Einwanderer, einherging.
Das Silicon Valley dieser Zeit waren die Eisenbahnen und die Stahl- und Erdölindustrie, finanziert von mächtigen Privatbankiers. Die Mark Zuckerbergs und Jeff Bezos’ des Vergoldeten Zeitalters hießen John D. Rockefeller, Cornelius Vanderbilt und J. P. Morgan. Sie wurden aufgrund ihres astronomischen Reichtums und der monopolistischen Stellung ihrer Unternehmen spöttisch „Räuberbarone“ („Robber Barons“) genannt. Der wachsende Reichtum und die Macht dieser neuen Elite gingen einher mit einer neuen Einwanderungswelle, die in den letzten 30 Jahren des 19. Jahrhunderts 20 Millionen Immigranten in die USA brachte, was zu erheblichen sozialen Spannungen führte.
Populisten – der Begriff Populismus bezog sich in den USA bis in die 1950er-Jahre hauptsächlich auf linke Politik – versuchten, diese gesellschaftlichen Umbrüche auszunutzen. So gab es zwischen 1874 und 1884 die Greenback-Arbeiterpartei, die sich gegen die Monopolisten und die restriktive Geldpolitik der Regierung in Washington stellte, welche, so der Vorwurf, vor allem den Landwirten in den westlichen Bundesstaaten schadete. Die politische Gruppierung sprach sich 1880 offen für einen Einwanderungsstopp von Chinesen aus.
Restriktive Einwanderungspolitik
Die Greenback-Arbeiterpartei ging letztendlich in der Populistenpartei („Populist Party“), auch Volkspartei („People’s Party“) genannt, auf, die sich strikt gegen den Goldstandard und den ausufernden Kapitalismus an der Ostküste auflehnte. Obwohl ihr auch Afroamerikaner angehörten, war diese Partei ebenfalls für eine restriktivere Einwanderungspolitik. Ihre Kritik an der amerikanischen Finanz- und Wirtschaftspolitik glitt im Laufe der Jahre immer mehr ins Verschwörungstheoretische ab. Kandidaten der Partei spekulierten offen damit, dass es ein Komplott der Regierung in Washington mit der Hochfinanz in New York gebe, um Massenbankrotte von Landwirten im Westen der USA zu verursachen. Mehrere Parteimitglieder wurden in den Kongress gewählt. Auch stellten die Populisten eigene Präsidentschaftskandidaten auf. 1909 löste sich die Partei jedoch auf. Ein kulturgeschichtliches Erbe von ihr ist das Kinderbuch „Der Zauberer von Oz“ von 1900. Einer bis heute populären Deutung nach ist es eine heimliche Kritik an der Korruption Washingtons und der undemokratischen Macht der Räuberbarone.
Diverse populistische Kreuzzüge im 19. Jahrhundert führten schließlich dazu, dass man den Zustrom aus dem Ausland massiv einzuschränken begann. 1882 gab es den „Chinese Exclusion Act“, ein Gesetz, das die Einwanderung von Chinesen suspendierte. 25 Jahre später galt eine ähnliche Regelung für Japaner. 1924 wurde dann ein Quotensystem eingeführt, das primär auf westeuropäische Einwanderer zugeschnitten war. Selbst wenn die wirtschaftliche Ungleichheit weiter existieren würde, so würde damit, so die Hoffnung, zumindest die Identität der amerikanischen Landwirte und Arbeiterklasse bewahrt. Gleichzeitig stärkte es auch unter Politikern die Bestrebungen, die monopolistischen Machtstrukturen der Räuberbarone zu brechen, was schließlich unter Präsident Theodore Roosevelt (1901–1909) und dessen „Square Deal“ („ehrliches Geschäft“) gelang. Dabei handelte es sich um ein fortschrittliches Programm zum Schutz der Mittelklasse, das mit einer Reihe gesetzlicher Maßnahmen auch die Macht von Monopolen einschränkte.
Die "Tea Party- Bewegung"
Das Erbe der Populisten des 19. Jahrhunderts trat nach der Finanzkrise 2008 die „Tea Party“-Bewegung an, die ihren Namen der Bostoner Tea Party von 1773 entlehnte, also der berühmten Rebellion gegen die englische Kolonialmacht, bei der einheimische Aufständische 342 Teekisten ins Meer warfen. Die Tea-Party-Leute stellten sich zunächst hauptsächlich gegen die Wall Street und die interventionistische Wirtschaftspolitik von Barack Obama. Insbesondere die staatlich finanzierten Rettungsschirme für große Banken wurden von ihnen heftig kritisiert. Schon bald aber driftete die Bewegung in rechtsextreme und verschwörungstheoretische Gefilde ab, verdammte Zuwanderung und Homosexualität und zweifelte Obamas US-Staatsbürgerschaft an. Sie glitt in die Identitätspolitik ab. Einige Aktivisten schafften es 2010 in den Kongress, wo sie eine Zeit lang eine gewichtige Fraktion bildeten. Bis heute hält sich der Einfluss einiger Tea-Party- Politiker wie etwa Ted Cruz oder Marco Rubio, die sich auch 2016 für die republikanische Nominierung für das Präsidentenamt bewarben, in der republikanischen Partei. Durchsetzen konnte sich 2016 aber Donald Trump, der die gesamte Partei in den letzten Jahren mehr und mehr in eine populistische Protestbewegung verwandelte.
Deren Hauptfeind ist nicht länger die Wall Street: Trump tritt seit seinem Sieg vielmehr als großer Champion des Aktienmarktes auf und vertritt eine klassische republikanische Wirtschaftspolitik. Die Hauptsorge gilt nun der eigenen erodierenden Identität, und das ist, wie der Blick zurück zeigt, durchaus integraler Teil der amerikanischen Tradition.
Der Text stammt aus der Serie der Kleinen Zeitung "Das zerrissene Amerika. Eine Serie von Franz-Stefan Gady, Teil 7"
unserem USA-Analysten Franz-Stefan Gady