Sloweniens sorgengeplagter Landesvater lässt die Alarmglocken schrillen. „Es ist höchste Zeit, dass die Infektionszahlen uns ernüchtern“, fordert der rechte Premier Janez Jansa seine Landsleute zur Einhaltung der am Dienstag in Kraft getretenen Ausgangssperre von 21 Uhr abends bis sechs Uhr morgens auf. Wer sich nicht an die Restriktionen halte, gefährde das Leben anderer: „Die eingeführten Maßnahmen sind notwendig.“
Leergefegte Straßen in Ljubljana, Proteste gegen die Corona-Auflagen in Maribor: Nicht alle Bewohner der Alpenrepublik hielten sich in der ersten Nacht an die erste Ausgangssperre seit 1943. Doch der auf den Rekordwert von 1503 an einem Tag gekletterte Infektionszahl lässt Slowenien genauso wie die Nachbarstaaten nun auf harte Präventivmaßnahmen setzen. „Bleibt zu Hause!“, so der Appell von Regierungssprecher Jelko Kacin.
Staaten ziehen die Notbremse
Ob mit Ausgangssperren, Schließung der Schulen oder dem Verbot von Versammlungen und Gottesdiensten: Immer mehr Balkanstaaten ziehen aus Angst vor dem Kollaps ihrer ausgebluteten Gesundheitssysteme die Notbremse.
Im Vergleich zu West- und Südeuropa wirken die absoluten Infektionszahlen in Südosteuropa trotz ihres steilen Anstiegs auf den ersten Blick zwar keineswegs spektakulär. Doch verglichen mit der oft sehr geringen Anzahl von Tests nimmt der Anteil der Infizierten immer bedrohlichere Ausmaße an. In Slowenien sind es wie in Bosnien und Herzegowina mittlerweile schon ein Viertel, in Kroatien und Montenegro knapp ein Fünftel der Getesteten, bei denen eine Infektion mit Covid-19 nachgewiesen worden ist.
Beschäftige sind ausgezehrt
„Die Kliniken sind voll, die Beschäftigten im Gesundheitswesen ausgezehrt und übermüdet“, umschreibt Vlado Djajic, der Direktor der Universitätsklinik im bosnischen Banja Luka die Lage: „Wenn es zu einem noch größeren Anstieg der Infiziertenzahl kommt, könnten wir in die Situation gelangen, dass wir keine Patienten mehr aufnehmen können.“
In über 250 Städten und Kommunen in Rumänien, in denen die Infektionsrate auf über drei pro 1000 Einwohner in den letzten 14 Tagen geklettert ist, sind Schulen, Kinos und Gaststätten seit dieser Woche geschlossen. Auch in Bulgarien ist das Tragen von Gesichtsmasken im Freien seit Donnerstag Pflicht. Slowenien hat das Abhalten von Gottesdiensten und Hochzeiten verboten. In Sarajevo hat die Islamische Gemeinschaft angekündigt, das Freitaggebet in den Moscheen auf fünf Minuten zu beschränken. Nordmazedonien plant wie Slowenien die Wiedereinführung einer nächtlichen Ausgangssperre.
Bei der ersten Corona-Welle im Frühjahr waren die Balkanstaaten auch dank rigider Vorsichtsmaßnahmen noch relativ gut davongekommen. Heimkehrende Gastarbeiter, der Tourismus, aber auch mehrere Urnengänge und fahrlässige Lockerungen hatten einigen Staaten im Sommer eine zweite Infektionswelle beschert. Die neue sich anbahnende Winterwelle lässt nicht nur Epidemiologen in der Region vor dem schwarzen Szenario einer völlig aus dem Ruder laufenden Lage bangen. „Die erste Welle hat uns erschreckt, die zweite wird uns unter die Haut kriechen“, orakelt düster die slowenische Zeitung „Delo“.
Thomas Roser aus Belgrad