Der Nervenkrieg zwischen der EU und Großbritannien geht in die vielleicht entscheidende Runde: Der EU-Gipfel beschloss am Donnerstag, mit den Briten weiter einige Wochen über ein Handelsabkommen verhandeln zu wollen. Der britische Premierminister Boris Johnson will nun am Freitag entscheiden, ob das Königreich dazu bereit ist. In Brüssel beschlossen die 27 EU-Staats- und Regierungschefs gleichzeitig, sich verstärkt auf ein No-Deal-Szenario vorzubereiten.
Dennoch betonte EU-Unterhändler Michel Barnier am Abend, dass er noch Chancen auf eine Einigung sehe. Er sei zu intensiven Verhandlungen in der kommenden Woche in London bereit.
Der EU-Gipfel forderte die britische Regierung am Donnerstag auf, "die notwendigen Schritte zu unternehmen", um ein Handelsabkommen zu ermöglichen. Eine Frist für ein Ende der Gespräche setzten sie nicht.
Der EU-Gipfel gab Barnier das Mandat für weitere Gespräche über die strittigen Fragen der Fischerei, den Streitschlichtungsmechanismus und den gleichen Zugang zum britischen Markt und zum EU-Binnenmarkt. EU-Ratspräsident Charles Michel betonte nach den Beratungen, man achte den Wunsch der Briten nach Souveränität nach dem EU-Austritt. Aber von den Bedingungen, die London akzeptiere, hänge dann auch ab, wie breit der künftige britische Zugang zum EU-Binnenmarkt sein werde. Dies sei allein die Wahl Londons.
In London äußerte sich der britische Chefunterhändler David Frost enttäuscht über die Entscheidung des EU-Gipfels. Johnson werde am Freitag seine Entscheidung bekanntgeben. Es sei ungewöhnlich, dass die EU vor allem von Großbritannien Zugeständnisse wolle. In der EU wird seit längerem spekuliert, dass ein Teil der britischen Regierung keinen Abschluss mit der EU will.
Neues Klimaziel für 2030
Zum Auftakt des EU-Gipfels stellten sich elf Mitgliedstaaten ausdrücklich hinter den Vorschlag, den Ausstoß der Klimagase bis 2030 um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 zu bringen. Dies geht aus einer gemeinsamen Erklärung von Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Irland, Lettland, Luxemburg, den Niederlanden, Portugal, Spanien und Schweden hervor. Österreich gehört nicht zu den Unterzeichnern. Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel stellte sich ebenfalls hinter den Vorschlag.
Bulgarien und Tschechien lehnten eine deutliche Verschärfung der EU-Klimaziele ab. Das bereits geltende Ziel einer CO2-Reduktion von 40 Prozent bis 2030 "ist für uns die absolute Obergrenze", sagte Bulgariens Regierungschef Boiko Borissow. 55 Prozent Reduktion, wie von der EU-Kommission vorgeschlagen, seien auch für sein Land nicht machbar, sagte Tschechiens Regierungschef Andrej Babis.
Kurz drängte auf eine weitreichende Diskussion. Er halte den "ambitionierten Vorschlag für sinnvoll", entscheidend sei aber, dass "wir gleichzeitig darüber sprechen, wie wir den Wirtschaftsstandort" Europa schützen können, und wie die Last unter den EU-Ländern verteilt werde. Auch sollte es nicht dazu führen, dass Staaten verstärkt in Atomenergie investieren, "dann geht der Schuss nach hinten los", gab Kurz zu Bedenken.
Am Abend nach dem Dinner, bevor sich die Debatte um Covid-19 zu drehen begann, verabschiedete der Gipfel eine entsprechende Schlusserklärung.
Was davor noch geschah:
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verließ wegen eines positiven Coronavirus-Falls in ihrem Büro den EU-Gipfel frühzeitig. "Ich wurde gerade informiert, dass ein Mitarbeiter meines Büros in der Früh positiv auf Covid-19 getestet wurde. Mein Testergebnis war negativ", schrieb von der Leyen auf Twitter. Vorsichtshalber verlasse sie jedoch sofort den Europäischen Rat, um sich selbst zu isolieren.
Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis hat sich für mehr Koordinierung der EU-Staaten im Kampf gegen die Corona-Pandemie ausgesprochen. "Wir gehören leider zu den schlechtesten", sagte Babis am Donnerstag vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel hinsichtlich der hohen Zahl an Corona-Neuinfektionen in seinem Land.
Koordination und Kooperation
"Wir brauchen mehr Koordination", sagte Babis. Als Bereiche nannte er die Versorgung mit Medikamenten, die Kapazitäten von Spitalsbetten und Impfungen gegen Covid-19.
Auch EU-Ratspräsident Charles Michel forderte im Vorfeld mehr Kooperation der EU-Staaten im Kampf gegen Corona. Bisherige Bemühungen der EU seien "nicht genug", sagte Michel am Donnerstag vor dem EU-Gipfel in Brüssel. Es müsse eine stärkere Zusammenarbeit auf europäischer Ebene geben, um das Virus zurückzudrängen.
Dänemarks Ministerpräsidentin hätte es wegen der aktuellen Corona-Lage lieber gesehen, wenn der EU-Gipfel online statt vor Ort in Brüssel abgehalten worden wäre.
Es wäre aufgrund der steigenden Infektionszahlen in ganz Europa angebrachter gewesen, eine Videokonferenz mit von zu Hause zugeschalteten Staats- und Regierungschefs zu veranstalten, sagte Regierungschefin Mette Frederiksen laut der dänischen Nachrichtenagentur Ritzau am Donnerstag bei ihrer Ankunft in Belgien.
Streit mit der Türkei
Auch der Mittelmeer-Gasstreit mit der Türkei soll ein Thema sein. Griechenland und Zypern liegt viel daran, das jüngste Verhalten der Türkei aufs Tapet zu bringen.