Worum geht es in diesem Konflikt?
Es geht um 4400 Quadratkilometer Land, das Gebiet von Berg-Karabach. Die Enklave in Aserbaidschan wird traditionell mehrheitlich von Armeniern bewohnt. Schon unter den Zaren hatte es in Aserbaidschan blutige Kämpfe zwischen der islamischen Bevölkerung und der christlich-armenischen Diaspora gegeben. Beim Zerfall der UdSSR brach erneut ein Kleinkrieg um Karabach aus. Die siegreichen Armenier vertrieben 40.000 Aserbaidschaner und besetzten 22 Prozent des aserbaidschanischen Staatsgebiet. Die wollen die Aserbaidschaner zurück. Die Armenier fürchten ein Blutbad für ihre 150.000 Landsleute dort.
Wer hat begonnen?
Die meisten Beobachter glauben, dass Aserbaidschan die Kämpfe Ende August begonnen hat– nicht zuletzt vor dem Hintergrund wachsender innenpolitischer Unzufriedenheit im Land. Aber seit Ende des Krieges 1994 scheitern alle Vermittlungsversuche auch an Armeniens Unversöhnlichkeit.
Was treibt die politischen Führer an?
Der aserbaidschanische Staatschef Ilcham Alijew hat sein Amt 2003 praktisch geerbt. Er gilt wie andere postsowjetische Autokraten als korrupt, sein Clan soll einen Großteil der lukrativen Öl- und Gasexportwirtschaft des Landes kontrollieren. Bisher war ihm die Festigung seiner Macht wichtiger als die Rückgewinnung Berg-Karabachs. Aber nach Protesten in der Hauptstadt Baku im Sommer will e wohl die enormen Rüstungsausgaben der vergangenen Jahre in politisches Kapital ummünzen. Der armenische Premier Nikol Paschinjan kam 2018 als Anführer einer demokratischen Straßenrevolution an die Macht, startete marktwirtschaftliche Reformen, Krieg kann er eigentlich nicht gebrauchen. Aber auch er präsentiert sich jetzt als eiserner Patriot.
Wie leben Armenier und Aserbaidschaner?
Armenien galt lange als Armenhaus des Kaukasus, aber vergangenes Jahr wuchs seine Wirtschaft um 8 Prozent, vor allem durch die IT- und Tourismusbranche. Unter Premier Paschinjan wurde der Schattenwirtschaft der Kampf angesagt, inzwischen beträgt das Durchschnittsmonatgehalt 333 Dollar, praktisch soviel wie die 335 Dollar der Nachbarn im rohstoffreichen Aserbaidschan. Dort drückt die Korruption weiter auf den Lebensstandard der Durchschnittsbürger.
Wie stark sind beide Seiten militärisch?
Auf dem Papier ist Aserbaidschan doppelt so stark wie Armenien. Sein Militärhaushalt beträgt 2,8 Milliarden gegenüber knapp 1,4 Milliarden Dollar auf der Gegenseite, es hat 151.000 Soldaten gegenüber 45.000 Soldaten und 570 gegenüber 110 Panzern, sowie 17 gegenüber noch 3 Kampfjets. Aber die Armenier gelten als deutlich kampfkräftiger. Allerdings werden die Aserbaidschaner jetzt von türkischen Militärberatern unterstützt, laut CNN auch von syrischen Söldnern.
Welche Interessen verfolgen Russland und die Türkei?
Militärisch ist Moskau mit Armenien verbündet, mahnt aber bei beiden Seiten eine Verhandlungslösung an. Der Krieg im Südkaukasus kommt Russland ungelegen. Umso lautstärker tritt die Türkei als neue Schutzmacht der Exsowjetrepublik Aserbaidschan auf. Fast scheint es, als wolle Erdogan testen, ob Putin den Hinterhof seines Imperiums noch im Griff hat.
Welche Chancen hat eine Friedenslösung?
Alijews Kalkül mag kurzfristig und populistisch sein. Aber für ganz Aserbaidschan ist das armenisch besetzte Karabach eine chronische nationale Unzumutbarkeit. Die Armenier wiederum sind überzeugt, ihren Landsleuten drohe ohne ihren militärischen Schutz eine blutige und totale ethnische Säuberung. Ein Kompromiss scheint unmöglich. Das Äußerste, was verhandelbar scheint, ist ein Herunterdrehen des Konfliktes, bevor er als großer Krieg auflodert.
unserem Korrespondenten Stefan Scholl aus Moskau