Als bei der Kongresswahl im November 2018 im Bundesstaat Arizona die Wahllokale schlossen, sah zunächst alles nach einem Sieg für die republikanische Senatskandidatin Martha McSally aus. Aber je mehr Briefwahl-Stimmen hinzukamen, desto kleiner wurde ihr Vorsprung auf die Demokratin Kyrsten Sinema. Nach ein paar Tagen war er ganz verpufft. Auf Twitter machte Präsident Donald Trump seinem Unmut Luft - "Korruption bei der Wahl - Neue Abstimmung fordern?", schrieb er.
Der Vorstoß des Republikaners belieb vergebens: Sechs Tage nach dem Wahltermin räumte McSally ihre Niederlage ein. In den USA stimmen Demokraten eher per Post ab als Republikaner. Das kann wie vor zwei Jahren in Arizona dazu führen, dass bei den ersten vorliegenden Ergebnissen - die der sogenannten Präsenzwahl, bei der die Stimme oft per Maschine abgegeben wird - zunächst die republikanischen Kandidaten in Führung liegen. Die Auswertung der per Briefwahl abgegebenen Stimmen dauert dagegen zum Teil deutlich länger. Diese "Verschiebung" des Ergebnisses nach und nach zugunsten der Demokraten wird in Anspielung auf deren Parteifarbe in der US-Politik als "blue shift" bezeichnet. Einige Experten befürchten, dass dieser "shift" heuer besonders stark durchschlagen könnte, mit möglicherweise schweren Folgen.
Ein Viertel er Wähler stimmt per Brief ab
Bei der Präsidentenwahl 2016 gab fast ein Viertel der Wähler die Stimme per Post ab. Dieses Jahr könnten es deutlich mehr sein. Wegen der Coronavirus-Pandemie haben viele Bundesstaaten ihre Bürger aufgefordert, per Post abzustimmen. Einer Reuters/Ipsos-Umfrage vom August zufolge will die Hälfte der Demokraten von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, aber nur ein Viertel der Republikaner. Das könnte zu einem starken "blue shift" führen. Die Folge: Trump könnte nach ersten Stimmenauswertungen am Abend des 3. Novembers zunächst in Führung liegen, sein demokratischer Herausforderer Joe Biden dann aber Stunde für Stunde, vielleicht auch Tag für Tag aufholen und am Ende womöglich sogar die Führung übernehmen.
Das muss aber nicht zwangsläufig geschehen. Bundeswahlen werden in den USA auf Landesebene organisiert, nicht vom Bund. Zwei der besonders umkämpften Bundesstaaten in diesem Jahr, Arizona und Florida, haben viel Erfahrung mit der Abstimmung per Post. Sie könnten innerhalb von Stunden belastbare Ergebnisse vorlegen. Das liegt unter anderem daran, dass es in diesen Bundesstaaten erlaubt ist, bereits einige Zeit vor dem eigentlichen Wahltermin mit den ersten Schritten zur Auswertung der Briefwahlstimmen zu beginnen. Jedoch ist das in drei weiteren, möglicherweise wahlentscheidenden Staaten streng verboten: Pennsylvania, Michigan und Wisconsin. "Wenn es bei der Wahl auf diese drei Staaten ankommt und alle auf die Ergebnisse warten, mache ich mir Sorgen über soziale Unruhen", sagt Rick Hansen, Jurist und Wahlexperte an der University of California. "Das gilt besonders, wenn Trump am Wahltag in Führung liegt."
Zweifel von Trump
Trump hat in den vergangenen Monaten wiederholt erklärt, die Briefwahl sei unsicher und leiste Wahlfälschung Vorschub. Belege dafür lieferte er keine. Experten weisen die Behauptung unter Verweis auf Studien zurück. Trump hat es auch abgelehnt zu erklären, ob er überhaupt eine Niederlage einräumen würde. Insidern zufolge bereitet sich Bidens Wahlkampfteam bereits darauf vor, dass Trump die Wahl für "gestohlen" erklären könnte, wenn sich das Ergebnis zugunsten des Demokraten verschiebt. Auch der republikanische Stratege Dennis Darnoi sagt, eine langwierige Auszählung mit zunehmender "Blauverschiebung" könnte Trumps Anhänger davon überzeugen, dass es nicht mit rechten Dingen zugehe.
Eine Sprecherin von Trumps Wahlkampfteam, Thea McDonald, will von solchen Spekulationen nichts wissen. Sie wirft den Demokraten vor, Chaos zu stiften, indem sie Verschwörungstheorien verbreiteten. "Präsident Trump und seine Mannschaft kämpfen für eine freie, faire und transparente Wahl, bei der jeder gültige Stimmzettel zählt - einmal."
Einige Experten legen ohnehin ein größeres Vertrauen in das amerikanische Wahlsystem an den Tag. "Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass wir in der Wahlnacht wissen, wer der Präsident ist", gibt sich etwa der Politikwissenschaftler Michael McDonald von der University of Florida zuversichtlich. "Diese Weltuntergangsszenarien machen mir keine großen Sorgen."