Die EU-Kommission hat neue Pläne für die seit Jahren umstrittene Reform des europäischen Asylsystems vorgestellt. Sie sehen Asylverfahren an den Außengrenzen, schnellere Abschiebungen und die Ernennung eines "Rückführungskoordinators" vor, wie die Behörde am Mittwoch mitteilte.
Gleichzeitig plant die Kommission mehr legale Möglichkeiten zur Einwanderung. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen appellierte an die Mitgliedsstaaten, eine Lösung für die Migrationsfrage zu finden. Es sei nun Zeit für alle, zu handeln und die Aufgabe gemeinsam zu bewältigen, sagte sie. "Es geht nicht um die Frage, ob Mitgliedstaaten mit Solidarität und Beiträgen unterstützen, sondern wie sie unterstützen."
Die Pläne gehen nun an die Mitgliedstaaten und das Europaparlament. Die Kommission forderte beide Seiten angesichts der "Dringlichkeit der Situation vor Ort in mehreren Mitgliedstaaten" auf, sich "bis zum Jahresende" auf die "Grundprinzipien" der Reform zu einigen.
Sowohl Bundeskanzler Sebastian Kurz als auch Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP) bezeichneten die Flüchtlingsverteilung innerhalb der EU im Vorfeld des neuen EU-Kommissionsvorschlags als "gescheitert". Der Innenminister erwartet, dass die Leistungen Österreichs - die Aufnahme von fast 120.000 Menschen in den vergangenen fünf Jahren - anerkannt werden. Er forderte einen "effektiven Grenzschutz" an der EU-Außengrenze.
Der deutsche Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD) kritisierte Kurz für dessen Ablehnung einer Verteilung von Flüchtlingen. "Ich würde jetzt allen raten, nicht schon gleich wieder Vetos einzulegen und Blockaden aufzubauen", sagte Roth im Deutschlandfunk. "Man kann sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen."
Seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise von 2015 sind immer wieder Versuche gescheitert, Europas Asylsystem zu reformieren. Knackpunkt war immer die Verteilung von Flüchtlingen auf die anderen EU-Staaten, um Ankunftsländer wie Italien oder Griechenland an den Außengrenzen zu entlasten. Osteuropäische Staaten wie Ungarn und Polen weigerten sich kategorisch, Migranten aufzunehmen.
Dublin-Regeln abschaffen
Die Kommission will nun die bisher geltenden Dublin-Regeln für das europäische Asylrecht abschaffen. Es bleibt aber grundsätzlich bei dem Grundsatz, dass ein Flüchtling seinen Asylantrag in dem Land stellen muss, in dem er zuerst in Europa ankommt.
Allerdings soll es hier mehr Flexibilität geben, sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson. Wenn Flüchtlinge enge Familienbeziehungen in anderen EU-Länder hätten oder dort schon studiert oder gearbeitet hätten, sollten sie in diese Länder gebracht werden. Für Migranten, die aus Ländern kämen, für die es sehr geringe Asylanerkennungsraten von unter 20 Prozent gebe, solle es beschleunigte Asylverfahren direkt an der Grenze geben.
Außer in Krisensituationen sollen nur Menschen mit einer Chance auf Asyl auf andere EU-Staaten verteilt werden. Länder, die absolut keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, können bei Abschiebungen in Heimatländer helfen. Gelingt ihnen das nach acht Monaten nicht, müssen sie die abgelehnten Asylbewerber bei sich unterbringen.
Der für Migration zuständige Vize-Kommissionspräsident Margaritis Schinas verwies auf den Brand im vollkommen überfüllten Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos. "Moria ist eine deutliche Erinnerung daran, dass wir nicht länger in einem halb fertig gebauten Haus leben können."
Unabhängig von den Vorschlägen zur Asylreform beschloss die Kommission, nun ein "Pilotprojekt" zur Mitverwaltung eines neues Lagers auf Lesbos zu starten. Hierzu setzte die Kommission eine Arbeitsgruppe ein, um das Vorhaben voranzubringen.
Aktivisten und Migrationsexperten kritisierten die Pläne der EU-Kommission. "Leider hat die Kommission im Endeffekt dem Druck derjenigen EU-Regierungen nachgegeben, die vor allem die Anzahl der Menschen verringern wollen, denen Europa Schutz gewährt", erklärte die Europa-Chefin der Menschenrechtsorganisation Oxfam, Marissa Ryan, am Mittwoch. Die Hilfsorganisation Caritas sieht Grund- und Menschenrechte von Asylsuchenden in Gefahr.
Ein Solidaritätsmechanismus, der "den EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit gibt, die Aufnahme zu vermeiden, indem die Rückkehr von Migranten erleichtert wird" sei "inakzeptabel", erklärte die Europa-Chefin der Caritas, Maria Nyman. Der Fokus auf den Außengrenzschutz und Rückführungen werde zwangsweise zu Lasten von völkerrechtlichen Grundprinzipien des humanitären Umgangs mit Flüchtlingen gehen.
"Es ist schwer zu begreifen, dass die EU nicht aus ihren jüngsten Fehlern gelernt hat", erklärte Anita Bay Bundegaard, EU-Direktorin von Save the Children.
"Kosmetische" Änderungen
Der Migrationswissenschaftler am Institut Delors und der Universität von Nantes, Yves Pascouau, bewertete die Kommissionspläne als lediglich "kosmetische" Änderungen. An der "Logik und Philosophie" der bestehenden Asylregeln ändere sich nichts. "Es wird auf Notsituationen, auf die Forderungen von Mitlgliedstaaten reagiert", sagte der Forscher. Aber ein "Grundgerüst" für einen Neuanfang sehe er nicht.
Die EU-Kommission ernannte am Mittwoch den Österreicher Johannes Luchner zum stellvertretenden Generaldirektor für Migration und Inneres. Luchner arbeitet seit 1996 in der EU-Kommission, er ist derzeit Direktor für Strategie und Allgemeine Angelegenheiten in der Generaldirektion für Migration und Inneres in Brüssel. Zuvor war Luchner unter anderem Direktor für den EU-Katastrophenschutz in der EU-Kommission.