Von Markus Söder wird in der Coronakrise oft das Bild des Machers gezeichnet. Der Ministerpräsident lässt Urlauber an Bayerns Grenze testen und ist Wortführer in Deutschland, wenn es um Schulschließungen und Geisterspiele geht. Außerdem ist er lautester Mahner, wenn ein Kollege aus einem anderen Bundesland auf allzu schnelle Lockerungen drängt. Die Popularität wuchs im Sommer stetig, der Ruf, er könne die Kanzlerin in Berlin beerben, wurde lauter.
Doch mittlerweile zeigt sich: Ausgerechnet das Bundesland mit dem restriktivsten Regierungschef bekommt die Pandemie nicht in den Griff. Neun der zehn am stärksten von Corona betroffenen deutschen Landkreise fanden sich zuletzt ausgerechnet in Bayern.
Kein einzelner Hotspot
Der rasante Anstieg der Infektionszahlen ist zwar nicht einem Hotspot – vergleichbar mit Ischgl – geschuldet, dröselt der Bayerische Rundfunk auf, sondern der Möglichkeit für Reiserückkehrer, sich auch ohne Symptome testen lassen zu können. Rund ein Viertel aller deutschen Tests wurde bisher in Bayern gemacht. Allerdings mehren sich Berichte über Pannen in den Testzentren, die Söder unter Druck bringen – sogar beim Koalitionspartner Freie Wähler, der sich wegen der Corona-Strategie mit der CSU entzweit. So konnten Hunderte positive Ergebnisse tagelang nicht an die Betroffenen gemeldet werden. Viele blieben wegen der Wartezeit nicht in Quarantäne.
Und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bemängelte, dass die vielen Tests ohne Anlass die Kapazitäten im ganzen Land zu stark auslasten. Ein Nadelstich des christdemokratischen Ministers gegen den Chef der christsozialen Schwesterpartei.
Streit mit Kanzler Kurz
Doch nicht nur die CDU von Kanzlerin Angela Merkel wird als Schwester bezeichnet. Gleiches gilt für die ÖVP von Kanzler Sebastian Kurz. Auch in dieser Geschwisterschaft knistert es. Hatte Söder die österreichischen Maßnahmen zu Beginn zeitverzögert nahezu eins zu eins umgesetzt, weil er „viel Sympathie für das Wiener Modell“ habe, hat sich das Bild des Nachahmers gedreht. „Zunächst mal müssen wir uns darauf einstellen, dass die zweite Welle da ist. Wer jetzt noch leugnet, dass Corona eine Gefahr ist, hat wirklich nichts verstanden“, sagte Söder lange, bevor es Kurz tat. Und dessen Wiener Koalitionspartner in Person von Gesundheitsminister Rudolf Anschober zeigt sich noch immer zuversichtlich, dass eine zweite Welle ausbleibt.
Auch sonst läuft die enge Wien-Münchner-Achse derzeit unrund. Söder hat Türkis-Grün für seine Verweigerungshaltung zur Aufnahme von Moria-Flüchtlingen massiv kritisiert. Er sei enttäuscht, dass Österreich seine starre Grundhaltung nicht zugunsten von „etwas mehr Herzlichkeit“ aufgebe, sagte Söder vor einer Woche. In der CSU intern führt man diesen Ton darauf zurück, dass Söder nur ein kollegiales Verhältnis mit Kurz habe, aber kein persönlich enges. Dies sei für ihn auch in Berlin die Ausnahme.
Söder reagiert auf das Straucheln in der Pandemie mit einem noch härteren Kurs. Dazu zählt eine Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen. Das Oktoberfest wurde bereits abgesagt und das Eröffnungsspiel der Bundesliga in München kurzfristig ohne Fans ausgetragen. Doch alle Einschränkungen, bei denen Bayern schon eine Spitzenposition einnahm, brachten nicht den gewünschten Effekt. „Ich will keinem die Freude nehmen“, sagt Söder, warnt aber die Bayernfans vor dem Supercup in Budapest und ändert vorsorglich die Quarantäneregeln. Dabei hat er die nächste Spitze für Wien parat: Er wolle ja kein „Fußball-Ischgl“ riskieren.
Ingo Hasewend