Donald Trump zögerte nicht lange, bis er den Tod der liberalen Bundesrichterin Ruth Bader Ginsburg für seinen Wahlkampf nutzte. Er werde bereits in der kommenden Woche eine Kandidatin für den vakanten Sitz am Supreme Court nominieren, kündigte der US-Präsident bei einem Auftritt im hart umkämpften Bundesstaat North Carolina an. Das Publikum nahm das Versprechen begeistert auf. „Fill-The-Seat!“ („Besetze den Posten!“)-Sprechchöre hallten durch den Fayettesville Regional Airport, wo Tausende seiner Anhänger zusammengekommen waren, um Trump sprechen zu hören.
Das Ableben von Ginsburg, einer der wichtigsten und einflussreichsten liberalen Stimmen Amerikas, könnte den Wahlkampf um die Präsidentschaft völlig durcheinanderwirbeln. Schließlich ermöglicht er Trump, durch die Nominierung eines dritten Juristen die konservative Mehrheit am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten für Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, zu zementieren.
Es ist ein Ziel, auf das Teile der Republikaner seit Langem hinfiebern. Vor allem die evangelikale Basis der Partei wünscht sich, dass das Gericht das Recht auf Abtreibung und andere Liberalisierungen, die es in den 1960er- und 1970er-Jahren vorgenommen hat, wieder zurücknimmt. Trumps Versprechen, konservative Richter zu nominieren, war vor vier Jahren dann auch eines der wichtigsten Argumente dieser Wählergruppe, ihn trotz mancher Vorbehalte zu unterstützen.
Willkommene Ablenkung vom Corona-Debakel
In Trumps Wahlkampfteam hoffen die Strategen, dass die Aussicht auf einen weiteren konservativen Richter die Umfragewerte des Präsidenten wieder steigen lässt. Der Kampf um die Nominierung könnte vom Missmanagement der Coronakrise und dem damit zusammenhängenden Wirtschaftseinbruch ablenken, so die Theorie. Es wäre eine Chance für Trump, die Wahl am 3. November doch noch zu gewinnen. Schließlich liegt er in Umfragen seit Monaten konstant und teils mit großem Abstand hinter seinem Herausforderer, Ex-Vize-Präsident Joe Biden. Das Umfragenaggregat der überparteilichen Website Realclearpolitics sieht den Demokraten landesweit derzeit mit 49,2 zu 43,1 mehr als sechs Prozentpunkte vor dem Präsidenten und auch in wichtigen Swing States in Führung.
Ob sich an diesem Vorsprung durch die Ginsburg-Nachricht etwas ändert, ist nicht abzusehen. Gut möglich, dass einige entfremdete Republikaner durch die Aussicht auf einen noch konservativeren Supreme Court zurück zu Trump finden. Ausgemacht ist es nicht. Schließlich ist Trumps Rückstand in den Umfragen vor allem dadurch zu erklären, dass er Unterstützerinnen und Unterstützer in der Mitte verloren hat, vor allem Frauen.
Trumps Strategie ist nicht unriskant
Diese Wählerschicht teilt die Prioritäten der evangelikalen Basis zum großen Teil nicht nur nicht – sie lehnt sie sogar vehement ab. Beispiel Abtreibung: Einer Umfrage aus dem vergangenen Jahr zufolge sind stolze 77 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner der Meinung, das Urteil im Fall Roe gegen Wade, das im Jahr 1973 Schwangerschaftsabbrüche landesweit legalisierte, solle erhalten bleiben. Selbst unter Republikanern will nur ein gutes Drittel, dass es vollständig zurückgenommen wird.
Solche Zahlen sind angesichts des Vorpreschens der Trump-Kampagne ein Risiko. Und auch die Gegenmobilisierung könnte dem Präsidenten noch Probleme bereiten. Denn anders als in der Vergangenheit nehmen die Demokraten das Thema Supreme Court in dieser Wahl sehr ernst.
Die Erfahrungen der vergangenen vier Jahre haben die Nominierungen für Richterposten auf der Prioritätenliste linker und liberaler Wählerinnen und Wähler spürbar nach oben gedrückt. Die Partei hat es noch nicht verwunden, dass die Republikaner 2016 die Besetzung eines Postens am Obersten Gerichtshof durch Präsident Barack Obama vollständig blockierten. Auch der harte Kampf um die Bestätigung des konservativen Richters Brett Kavanaugh ist noch nicht vergessen.
In einer Umfrage des Pew-Instituts vom August gaben entsprechend zwei Drittel der Demokraten an, die Besetzung von Richterposten sei für sie eines der wichtigsten Wahlthemen. Unter Republikanern ist diese Zahl leicht niedriger. Dass demokratische Kandidatinnen und Kandidaten in den Stunden nach Ginsburgs Tod mehr als 91 Millionen Dollar in Spenden einsammelten, unterstreicht die Bedeutung des Themas noch einmal. Ob der Streit um den Supreme Court Trump also wirklich zum Wahlsieg verhelfen kann, ist damit längst noch nicht klar.
unserem Korrespondenten Julian Heißler aus Washington