Schwarz uniformierte Einsatzpolizisten, maskiert mit Sturmhauben, stürzten sich auf einzelne Demonstranten und schleppten sie in Kleinbusse. Die üblichen Sonntagnachmittags-Szenen in Minsk. Dort gingen wie in ganz Belarus gestern wieder Zehntausende Weißrussen gegen Staatschef Alexander Lukaschenko und sein Regime auf die Straße. Demonstriert wurde auch in anderen Großstädten. In der Hunderttausend-Seelen-Stadt Lida skandierte die Menschenmenge: „Wir sind nicht die Opposition, wir sind die Mehrheit.“
Wie üblich brach das mobile Internet in Minsk teilweise zusammen, wie üblich sperrten mit Stacheldrahtrollen bewehrte Kampffahrzeuge die Straßen zum Palast der Unabhängigkeit, dem Amtssitz Alexander Lukaschenkos. Aber die Greiftrupps der Polizei attackierten die sich sammelnden Demonstranten noch früher als an den vorherigen Wochenenden, bereits zwischen den Hochhäusern der Außenbezirke von Minsk. In Minsk wurden bis zum Abend Dutzende Personen festgenommen, in Brest gaben Polizisten Warnschüsse ab. In Gomel und Grodno griffen Polizisten und Schläger in Zivil die Protestkolonnen bereits am helllichten Nachmittag an.
Am Samstag, an dem vor allem weibliche Demos Tradition geworden sind, waren bei elf friedlichen Protestaktionen in Belarus nach Polizeiangaben 430 Menschen, meist Frauen, festgenommen worden, zum Teil mit roher Gewalt.
Der Soziologe Wasili Naumow erklärte dem TV-Kanal Nastojaschtschoje Wremja, mittlerweile erlebe Weißrussland jede Woche den gleichen Zyklus: Am Wochenende gäbe es Massendemos, die die Menschen begeisterten. In der ersten Wochenhälfte hörten sie dann von Festnahmen und Repressalien, fingen an, sich zu fragen, was sie vielleicht falsch gemacht haben. Aber donnerstags und freitags wachse wieder das Bedürfnis, die euphorische Erfahrung des vergangenen Wochenendes zu wiederholen. „Die Proteste verändern die Menschen auch psychologisch. Sie haben sich darauf eingestellt, langfristig auf die Straße zu gehen, jedes Wochenende.“ Dmitri Nawoscha erklärte, die Proteste seien zum Symptom für eine Unzufriedenheit geworden, der Lukaschenko nicht mehr Herr werden könne.
Stefan Scholl, Moskau
unserem Korrespondenten Stefan Scholl aus Moskau