Nach dem Tod der legendären Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg zeichnet sich ein erbitterter politischer Kampf um ihre Nachfolge ab, der die USA auf Jahrzehnte prägen könnte. Sollten die Republikaner von Präsident Donald Trump den freigewordenen Posten neu besetzen, würde das die konservative Mehrheit im Supreme Court zementieren.
Die linksliberale Juristin Ginsburg starb am Freitag im Alter von 87 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung. Der Supreme Court, der oft mit knapper Mehrheit entlang ideologischer Linien entscheidet, hat neun Sitze. Davon werden nun noch drei klar dem liberalen Lager zugerechnet. Ginsburg war die prominenteste Vertreterin des liberalen Flügels. Das Oberste Gericht hat in den USA oft das letzte Wort bei umstrittenen Grundsatzfragen zu Streitthemen wie Abtreibung, Einwanderung, Waffenrecht und Diskriminierung.
Trump drängt auf unverzügliche Nachbesetzung
Trump machte am Samstag zwar deutlich, dass er Ginsburgs Stelle noch in seiner auslaufenden Amtszeit neu besetzen möchte. Zugleich ließen seine Äußerungen aber auch darauf schließen, dass er erst die nötige Mehrheit im US-Senat hinter sich wissen möchte, bevor er wenige Wochen vor der Präsidentenwahl mit einer Nominierung vorprescht.
Die Richter am Obersten Gericht der USA werden vom Präsidenten vorgeschlagen und vom Senat bestätigt. Die Republikaner haben in der Parlamentskammer die Mehrheit von 53 der 100 Stimmen. Allerdings ist bisher alles andere als sicher, dass genug republikanische Senatoren die Nachbesetzung vor der nächsten Präsidenten-Amtszeit unterstützen werden.
"Wir wurden in die Position der Macht gebracht, um Entscheidungen für die Menschen zu treffen, die uns gewählt haben", schrieb Trump am Samstag auf Twitter an die Adresse der Republikaner. Die wichtigste Aufgabe davon sei es, Richter des Supreme Court zu ernennen. "Wir haben diese Verpflichtung, ohne Aufschub!"
In den kommenden Jahren könnte es vor dem Obersten Gericht unter anderem um das Recht auf Abtreibungen gehen, das viele Konservative schon seit Jahren kippen wollen. Auch die Gesundheitsreform von Trumps Vorgänger Barack Obama wird wieder vor dem Supreme Court landen - sowie wichtige Entscheidungen zum Status von Migranten, die in den USA leben.
Ginsburgs Tod könnte die USA verändern
Die Richter werden auf Lebenszeit ernannt. Damit könnte ein weiterer konservativer Richter die Balance auf Jahrzehnte festigen. Zugleich könnte schon beim aktuellen Supreme Court mit acht Richtern in den kommenden Monaten ein Streit um die Ergebnisse der Präsidentenwahl landen. Trump ernannte während seiner Amtszeit bisher die konservativen VerfassungsrichterNeil Gorsuch und Brett Kavanaugh.
Der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, verkündete schon wenige Stunden nach Ginsburgs Tod, dass ein von Präsident Trump nominierter Kandidat eine Abstimmung bekommen werde. Die Demokraten forderten dagegen mit Nachdruck, die Nachfolge Ginsburgs erst in der nächsten Präsidenten-Amtszeit zu regeln. "Ohne Zweifel sollten die Wähler den Präsidenten aussuchen, und der Präsident sollte den Richter dem Senat vorschlagen", sagte Trumps Herausforderer Joe Biden. Die Präsidentenwahl ist am 3. November, die Vereidigung des Siegers am 20. Jänner 2021.
McConnell musste bei seiner Ankündigung zu einiger argumentativer Akrobatik greifen. Im Jahr 2016 hatten die Republikaner unter seiner Führung einen vom damaligen demokratischen Präsidenten Obama nominierten Supreme-Court-Kandidaten im Senat blockiert - auch unter Hinweis auf die anstehende Präsidentenwahl im selben Jahr. Mit Blick darauf rief nun der demokratische Minderheitsführer im Senat, Chuck Schumer, die Republikaner auf, erst unter dem nächsten Präsidenten über die Nachbesetzung zu entscheiden. Er wiederholte dabei exakt McConnells Worte von 2016. McConnell argumentierte, anders als damals gehörten der Präsident und die Mehrheit der Senatoren diesmal einer Partei an.
Mit ihrem jahrzehntelangen Kampf für die Gleichberechtigung der Frauen, für Minderheiten und gegen Diskriminierung wurde Ginsburg zu einer Justiz-Ikone und einem Idol der Bürgerrechtsbewegung. Bereits in den 1970er Jahren war sie als Juristin vor dem Obersten Gericht erfolgreich gegen Regeln vorgegangen, die Frauen diskriminierten. Zu den wichtigsten Folgen gehört, dass sich im Supreme Court die Lesart durchsetzte, dass der 14. Zusatzartikel zur US-Verfassung auch die Gleichberechtigung der Frauen schützt. Auf dieser Basis konnte Diskriminierung von Frauen als verfassungswidrig angeprangert werden.
Ginsburg war 1993 vom damaligen demokratischen Präsidenten Bill Clinton für den Supreme Court nominiert worden - und wurde in der Folge zum wohl bekanntesten Gesicht der neunköpfigen Richterriege. Die damals 60-Jährige war die zweite Frau überhaupt an dem Gericht. Auch in ihrer Studienzeit war sie eine der wenigen Frauen in einer Männerdomäne.
Das liberale Amerika verehrte sie
Einen Namen machte sich Ginsburg nicht zuletzt mit ihrer scharfen Argumentationsweise. Ihr Leben und Wirken ist Gegenstand mehrerer Filme und Bücher. Gerade viele Liberale feiern sie als Ikone. Ihr Gesicht findet sich auf Souvenirs und als Graffiti an Hausfassaden.
Ginsburg hatte sich im August 2019 wegen eines bösartigen Tumors in der Bauchspeicheldrüse einer Strahlentherapie unterziehen müssen. Bereits im Jahr davor war sie an der Lunge operiert worden, nachdem Ärzte zwei bösartige Knoten gefunden hatten. Nach mehreren Krankenhausaufenthalten teilte sie im Juli 2020 mit, dass sie erneut an Krebs erkrankt sei und sich einer Chemotherapie unterziehe.
Unmittelbar nach Bekanntwerden von Ginsburgs Tod versammelten sich vor dem Gericht in Washington Hunderte Trauernde. Trump würdigte Ginsburg als "Titanin des Rechts" und ordnete an, dass Flaggen auf dem Weißen Haus und staatlichen Gebäuden für einen Tag auf halbmast gesetzt werden.
Eine nicht näher genannte Quelle sagte der Nachrichtenagentur Reuters am Samstag, zwei Frauen seien auf Trumps "Shortlist" für einen Richterposten am Supreme Court: Barbara Lagoa, die kubanische Vorfahren hat, aus Florida und Amy Coney Barrett aus Louisiana. Trump wird demnach innerhalb von Tagen einen Nachfolger für Ginsburg nominieren.