Deutschland und Frankreich wollen nach dem Großbrand im griechischen Flüchtlingslager Moria mehr minderjährige Migranten aufnehmen - möglichst gemeinsam mit anderen EU-Staaten. Um die Übernahme habe sie Premier Kyriakos Mitsotakis gebeten, sagte Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel am Donnerstag. Wegen wachsender Spannungen auf Lesbos wurden die Polizeikräfte dort verstärkt.

Nach Angaben von Innenminister Horst Seehofer will Deutschland 100 bis 150 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus dem abgebrannten Flüchtlingslager Moria aufnehmen. Insgesamt hätten sich bisher zehn EU-Staaten bereit erklärt, die etwa 400 unbegleiteten Minderjährigen aus dem Camp auf Lesbos aufzunehmen, sagte der CSU-Politiker am Freitag in Berlin. Griechenland hatte bis Donnerstag 400 Minderjährige, die ohne Begleitung ihrer Eltern unterwegs sind, von Lesbos in die Hafenstadt Thessaloniki geflogen.

Die EU-Kommission will am 30. September einen neuen Vorschlag zur EU-Migrations- und Asylpolitik vorlegen. Das kündigte der Vizepräsident der Kommission, Margaritis Schinas, am Freitag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Seehofer in Berlin an. Es soll demnach unter anderem ein System "dauerhafter und wirksamer Solidarität" innerhalb der EU geben. Einerseits wolle man mit größerer Hilfe für Entwicklungsländer dafür sorgen, dass Menschen gar nicht erst ihre Heimat verließen. Zum anderen wolle man die EU-Außengrenzen besser und "robust" mit einer neuen Küstenwache und mehr Personal schützen.

"Sehr starke Mahnung"

Schinas räumte ein, dass die EU-Kommission 2016 mit einem ersten Anlauf gescheitert sei, eine gemeinsame Flüchtlingspolitik zu vereinbaren. "Moria ist für uns eine sehr starke Mahnung hinsichtlich dessen, was wir in Europa ändern müssen", sagte er mit Blick auf das abgebrannte Flüchtlingslager. Schinas betonte zudem, dass die EU den Transfer von 400 unbegleiteten Minderjährigen von Lesbos auf das griechische Festland organisiert und finanziert habe. Man habe die Zahl der Personen in dem Flüchtlingslager in den vergangenen Monaten bereits von 25.000 auf 12.000 Personen reduzieren können. Das habe die Lage auf der Insel Lesbos entspannt. "Die Situation wäre heute wesentlich schlimmer ohne diese Anstrengungen", sagte der EU-Kommissar.

Merkel hatte bei einer Diskussion mit dem Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei (EVP), Donald Tusk, am Donnerstag in Berlin gesagt, sie hoffe, dass sich auch andere EU-Mitgliedsstaaten an der Aufnahme der minderjährigen Flüchtlinge beteiligen. Sie habe mit Mitsotakis zudem besprochen, dass man sofort dabei helfe, eine neue und bessere Unterbringung für die vom Feuer betroffenen Menschen sicherzustellen. "So kann es nicht bleiben, und Deutschland wird sich daran beteiligen", sagte die Kanzlerin. Sein Land werde sich in Abstimmung mit Deutschland an der Umsiedlung der Minderjährigen aus dem weitgehend abgebrannten Lager beteiligen, erklärte unterdessen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Auch Italien sagte Unterstützung zu.

Fast vollständig zerstört

Das Lager Moria war in der Nacht auf Mittwoch bei mehreren zeitgleichen Bränden fast vollständig zerstört worden. Statt der vorgesehenen rund 3.000 Migranten waren dort mehr als 12.000 Menschen untergebracht. Die griechische Regierung erteilte einer schnellen Verlegung weiterer Flüchtlinge eine Absage und stellte gezielte Brandstiftung als Auslöser fest.

Am Freitag verstärkte die griechische Regierung die Polizeikräfte auf Lesbos. Wie das griechische Fernsehen zeigte, kamen in der Früh mehrere Busse mit zusätzlichen Bereitschaftspolizisten sowie zwei Wasserwerfern an Bord einer Fähre in der Inselhauptstadt Mytilini an.

Chaotische Zustände

Nach dem Brand herrschen auf der Insel chaotische Zustände. Tausende Migranten verbrachten die dritte Nacht in Folge im Freien. Manche legten immer wieder Feuer in den übrig gebliebenen Teilen des Camps und den umliegenden Feldern und attackierten die Polizei.

Einwohner gegen neues Lager

Die Verstärkung der Polizeieinheiten richtet sich aber auch an die zunehmend aufgebrachten Inselbewohner. Viele, darunter fast alle Bürgermeister, wollen nach dem Brand in Moria keine Migranten mehr auf der Insel haben. "Sie müssen alle weg. Kein Lager mehr auf Lesbos", erklärte der Gouverneur der Region Nordägäis, Kostas Moutzouris, im Fernsehen. Angst herrscht nicht zuletzt, weil mindestens 35 Geflüchtete positiv auf das Coronavirus getestet waren und die Inselbewohner einen unkontrollierten Ausbruch des Virus befürchten.

Anrainer blockieren immer wieder Zufahrtsstraßen zu jenen Orten, an denen die Regierung provisorische Lager einzurichten plant, um die obdachlosen Menschen vorläufig unterzubringen. "Wir werden das nicht zulassen, koste es, was es wolle", sagten aufgebrachte Einheimische. Die meisten Inselbewohner seien müde und enttäuscht von der EU. Keiner könne es ertragen, wenn so viele Migranten für so lange Zeit auf einer Insel lebten, hieß es.

Dank

Mitsotakis bedankte sich bei Frankreich und Deutschland für ihre Bereitschaft, minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen. "Wir werden alles unternehmen, diese Krise auf menschliche Weise anzugehen", sagte Mitsotakis in Ajaccio auf Korsika nach einem informellen EU-Südstaaten-Gipfel.

Man müsse der Realität ins Auge schauen, so Mitsotakis. Auf Griechenland - wie auch auf anderen Staaten des Südens - wirke eine untragbare Last. Europa müsse jetzt von Solidaritätsbekundungen zu echter Solidarität übergehen, so der griechische Regierungschef.

ÖVP dagegen

In Österreich verschließt sich die ÖVP bisher Forderungen des Grünen Koalitionspartners nach einer Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria. Die Grüne Klubchefin Sigrid Maurer griff die ÖVP am Donnerstag in der "ZiB2" frontal an, weil sie die Aufnahme von betroffenen Flüchtlingen verhindert. Ihre Partei sei hier "durchaus kampfbereit", so Maurer. Als Hintergrund für die harte Haltung der ÖVP vermutet die Grüne Klubchefin den Wien-Wahlkampf der ÖVP. Daher beiße ihre Partei auch "leider auf Granit".