Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) wollen am Dienstag in Washington ein Abkommen zu der im August angekündigten Normalisierung ihrer Beziehungen unterzeichnen. Präsident Donald Trump erwartet für den historischen Anlass Premier Benjamin Netanjahu und Außenminister Abdullah bin Said. Ein enormer Schritt für den Nahen Osten. Wie ist Israelis und Emiratis gelungen, sich anzunähern?

RABBI MARC SCHNEIER: Nach meiner Überzeugung waren es drei Faktoren, die überhaupt erst das Bewusstsein dafür geschaffen haben, eine Übereinkunft erreichen zu wollen. Eine meiner Lebensphilosophien lautet: Ohne Beachtung gibt es keine Abmachung. Zunächst hat die Covid-19-Pandemie viel damit zu tun, dass es genau jetzt geschieht. In den vergangenen Monaten haben mir einige Lenker am Golf gesagt: Mit unserem Reichtum und unseren Ressourcen sowie mit Israels Braintrust und Technologie können wir gemeinsam in Partnerschaft eine Therapie finden, um das Virus nicht nur in der Region, sondern in der gesamten Welt auszurotten. Der zweite ausschlaggebende Faktor war die gesamte Diskussion rund um die Annexionen, was besonders Emiratis verhärmte.

Was war ausschlaggebend?

SCHNEIER: Anfang Juni schrieb mein guter Freund, der VAE-Botschafter in Washington Yousef Al Otaiba, in Israels führender Tageszeitung „Jediot Achronot“ einen öffentlichen Aufruf an die Bevölkerung. Darin forderte er die Öffentlichkeit auf, das Thema Annexion beiseitezulegen. Das hat die nötige Aufmerksamkeit geschaffen. In meinen Augen haben dieser Aufruf und das Aussetzen der Annexionen die Zweistaatenlösung für das palästinensische Volk gerettet.

Und der dritte Faktor?

SCHNEIER: Das ist fortlaufendes Thema mit dem Kampf der Golfstaaten und Israels gegen den Iran. Gemeinsam mit Covid-19 und dem Annexionsthema hat die Angst vor dem Iran die Aufmerksamkeit geschaffen, einen historischen Deal anzugehen.

Werden die Israelis tatsächlich ihre Siedlungspolitik einfrieren?

SCHNEIER: Sie werden nicht dauerhaft ihre Politik einfrieren, aber vor neuen Annektierungen zurückschrecken. Die großen Siedlungen in verschiedenen Teilen des Westjordanlands sind schlicht Realität. Der saudische Friedensplan 2002 sah vor, dass Israel die Siedlungen durch einen Landtausch in ein Großisrael einbringen kann. Die Siedlungen machen zehn bis 15 Prozent des Westjordanlandes aus. Der Rückgabe-Punkt der Friedensinitiative zielt auf die Gleichwertigkeit, also einen äquivalenten Anteil des Landes, das Israel sich aus der Negev genommen hat und den Palästinensern nun zurückgeben muss. Es gibt also bereits eine Regelung, denn es ist unrealistisch, eine Gemeinschaft wie Ma’ale Adumim oder Efrata mit 20.000 bis 30.000 Menschen wegzunehmen. Es wird keine Evakuierung dieser Städte geben. Aber es gibt eine Regelung im Friedensplan zum Landaustausch mit den Palästinensern.

Wie ausschlaggebend war der Druck der US-Amerikaner auf beide Seiten im Einigungsprozess?

SCHNEIER: Es war aus meiner Sicht kein Druck. Sie haben eher auf die Möglichkeiten eines Friedens hingewiesen. Wenn ich mir die drei Abkommen anschaue, die Israel mit arabischen Staaten ausgehandelt hat – die Friedensverträge mit Ägypten 1979 und Jordanien 1994 sowie jenes mit den Emiraten, ist der aktuelle Deal im Vergleich bei Weitem größer. Die anderen waren natürlich sensationeller, aber die Möglichkeiten in diesem Vertrag sind weitreichender in ihrer wirtschaftlichen Intensität und Ermächtigung, im Zugang und in der Aufwertung für die Partner. Und nicht nur für Israelis, sondern auch für die Palästinenser. Das ist der Grund, warum es diesen Zustand der Euphorie gibt. Ich habe von den Staatenlenkern am Golf gehört, mit ihrem Wohlstand und Israel als eine mit Sternen besetzten Nation beherrsche man eine der mächtigsten Wirtschaftsregionen der Welt. Dieser Vertrag zwischen Israelis und den Emiraten löst einen Dominoeffekt aus.

Inwiefern?

SCHNEIER: Ich habe diesen Prozess immer als einen gesunden Wettbewerb erlebt, wie ein Pferderennen mit sechs Galoppern am Start. Das sind die Länder Saudi-Arabien, Kuwait, Katar, Bahrain, VAE und Oman. Fünf Länder picken eng aufeinander, nur ein Pferd hängt hinterher im Rennen und das ist Kuwait. Es war also nur die Frage, welches Pferd als erstes über die Ziellinie geht. Aber alle sind dicht hinter den Emiraten, sogar Katar, das schwarze Pferd in diesem Rennen. Katar ist der einzige Golfstaat, der in den vergangenen Jahren öffentlich mit Israel zusammengearbeitet hat. Sie haben mit Zustimmung der Israelis Geld und humanitäre Hilfe in den Gazastreifen gebracht – auf Anfrage Israels. Ich würde mich nicht wundern, wenn Katar mit der nächsten Ankündigung an der Reihe wäre. Ich sage aber voraus, dass zum Jahresende 2020 ein oder zwei Golfstaaten den Emiraten folgen werden und ihre Beziehungen zu Israel normalisieren.

Sie sind Sonderberater des Königs von Bahrain. Wie nah ist ein Abkommen mit König Al-Khalifa?

SCHNEIER: Es gibt keinen Staatsführer am Golf, der diese Anerkennung mehr verdient hätte als der König von Bahrain. Seit ich seine Majestät 2011 das erste Mal traf, wird er vom Wunsch einer Normalisierung mit Israel geleitet. Es war der König von Bahrain, der das Jüdische Gemeindezentrum in New York besucht hat und im März 2013 die Hisbollah zur Terrororganisation erklärt hat. Und er hat nach der Ankündigung von Donald Trump, die US-Botschaft in Israel zu verlegen, eine Bahrainische Solidaritätsdelegation nach Jerusalem entsendet. Wenn es also jemand verdienen würde, der Nächste zu sein, wäre es der König von Bahrain.

Israel, die Golfstaaten und die USA eint, dass sie Iran als die größte Gefahr für die Region sehen. Wie wichtig war das neben den wirtschaftlichen Interessen?

SCHNEIER: Die iranische Bedrohung war die kritische Komponente dieser Verhandlungen. Genauso wie die Transformation der Einkommen in der Region durch den Rückgang der Öl-Nachfrage. Saudi-Arabien durchläuft gerade eine wirtschaftliche Transformation. Ich habe von führenden saudischen Funktionären gehört, dass man sich sehr auf 2030 konzentriert. Bis dahin soll sich die Wirtschaft verändern. Mir wurde gesagt: Wir können ohne Israel nicht erfolgreich sein. Ich denke, in Saudi-Arabien ist der Friedensschluss mehr ein Generationenkonflikt als alles andere. Ich weiß, dass die junge Führung dies tun wird. Es ist nur eine Frage des Wann und nicht des Ob. Es bewegt sich sehr viel und es ist die richtige Richtung.

Am 31. August gab es den ersten Direktflug zwischen Tel Aviv und Abu Dhabi. Am 2. September hat Saudi-Arabien seinen Luftraum für Israel-Flüge freigegeben. Können die Überflugrechte als stille Anerkennung Israels durch Riad angesehen werden?

SCHNEIER: Ich glaube, dass es der erste Schritt im Normalisierungsprozess ist. Auch Bahrain hat ja eine ähnliche Ankündigung gemacht. Dies ist der erste öffentliche Schritt für beide Länder in diesem Prozess. Die Ankündigung ist historisch, und sie signalisiert den Beginn der Erwärmung der Beziehungen zwischen dem saudischen Königreich und Israel. Auch wenn sie dem palästinensischen Volk noch zutiefst verpflichtet sind, ist dieser erste Schritt ein großer und sollte gefeiert werden.

Gewähren Sie uns einen kleinen Einblick in die Verhandlungen der vergangenen Jahre. Was waren die größten Hindernisse und Differenzen zwischen beiden Staaten und welche Vorurteile konnten im Prozess beseitigt werden?

SCHNEIER: Darin bestand mein Beitrag in den vergangenen zwölf Jahren. Mein Vorteil am Golf war, dass ich aus einer Schnittstellenwelt komme und nicht aus der politischen Welt. Man muss sich bewusst machen, dass die Gesellschaft am Golf eine zutiefst religiöse ist. Ich habe vor 17 Jahren noch Pionierarbeit geleistet auf dem Gebiet der moslemisch-jüdischen Beziehungen auf globaler Ebene. Auf diese Reise begab ich mich, um einen Weg zu finden, die Kluft zu verringern, die zwischen 16 Millionen Juden und 1,6 Milliarden Moslems besteht. Es gibt so viele Bereiche, in denen sich Moslems und Juden über den anderen hermachen, um über den anderen zu urteilen. Für mich war das die Schnittstelle zur religiösen Perspektive. Als ich zum ersten Mal unter der Schirmherrschaft des verblichenen Königs von Saudi-Arabien, König Abdullah, in den Golf reiste, hörte ich noch einen geläufigen Satz: „Wir haben nichts gegen Juden, unser Problem sind die Israelis und Zionisten.“ Zwölf Jahre lang habe ich dagegengehalten und versucht, die Golfstaatenlenker und muslimischen Religionsführer dafür zu sensibilisieren, dass für das jüdische Volk der Islam kein rein politisches Thema ist, sondern eine Frage der Religion. Israel ist nicht nur ein 70 Jahre existierendes politisches Gebilde, Israel steht seit 3500 Jahren im Zentrum des Judentums. Wenn Sie mich bitten, die Formulierung "Israel ist vom Judentum zu trennen" zu betonen, dann ist das so, als würde ich einen muslimischen Religionsführer um die Formulierung bitten: „Halal und Scharia sind vom Islam zu trennen“. Wenn die Anführer in der Golfstaaten aus interreligiöser Sicht nicht das grundlegende Verständnis dafür aufgebracht hätten, was genau Israel für das jüdische Volk bedeutet, wäre es schwierig gewesen, an den heutigen Punkt zu gelangen. Bei meinen Gesprächen mit Religionsführern, die am Golf eine solche Vorrangstellung und dominante Rolle einnehmen, vermeide ich das Thema Israel nie, egal ob es sich um Einzelgespräche oder Konferenzen handelt. Wenn sie einen nachdrücklichen Dialog mit dem jüdischen Volk führen wollen, dann müssen sie anerkennen, dass Israel nicht nur als politische sondern auch als religiöse Frage betrachtet werden darf. Darin liegt die große Veränderung. Sie hat die Kluft verringert, die die moslemisch-jüdischen Beziehungen im Allgemeinen so lange dominiert hat. Nach zwölf Jahren  höre ich keine derartigen Kommentare mehr. Es kann erst Anerkennung geben, wenn man anerkennt, dass man kein kein Jude sein kann, ohne auch Zionist zu sein. Es ist Teil unserer Religion und Herzstück des Judentums. Das war in den vergangenen zwölf Jahren mein Beitrag, um dieses sehr sensible Thema besser zu verstehen.