Im Fall der Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny steigt der internationale Druck auf Moskau. Die NATO fordert von Russland die Zustimmung zu internationalen Ermittlungen, die EU droht mit Sanktionen. Zudem gibt es Diskussionen über eine mögliche Einstellung des deutsch-russischen Gaspipeline-Projekts Nord Stream 2.

"Die russische Regierung muss im Rahmen einer unparteiischen internationalen Untersuchung uneingeschränkt mit der Organisation für das Verbot chemischer Waffen zusammenarbeiten", sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Freitag nach außerplanmäßigen Beratungen mit den NATO-Botschaftern der Mitgliedstaaten zum Fall Nawalny. "Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen und vor Gericht gebracht werden."

Die deutsche Bundesregierung hatte am Mittwoch nach Untersuchungen eines Spezial-Labors der Bundeswehr mitgeteilt, dass sie es als zweifelsfrei erwiesen ansieht, dass Nawalny mit dem militärischen Nervengift Nowitschok vergiftet wurde. Der Oppositionspolitiker war am 20. August auf einem Flug in Russland plötzlich ins Koma gefallen und später auf Drängen seiner Familie in die Berliner Charité verlegt worden. Nach Angaben der Charité ist sein Gesundheitszustand weiter ernst.

Chemiewaffen-Konvention

Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) hatte am Donnerstag Hilfe bei Aufklärung im Fall Nawalny angeboten. Nach der Chemiewaffenkonvention werde die Vergiftung eines Einzelnen mit einem Nervengas als Einsatz von Chemiewaffen bewertet, teilte sie mit.

Die EU drohte Russland offen mit Sanktionen. In einer am Donnerstagabend veröffentlichten Erklärung heißt es, die Europäische Union rufe zu einer gemeinsamen internationalen Reaktion auf und behalte sich das Recht vor, geeignete Maßnahmen zu ergreifen.

Skepsis

Mehr als hundert EU-Abgeordnete, darunter auch aus Österreich, forderten eine internationale Untersuchung unter Beteiligung der Vereinten Nationen. Sie seien "äußerst skeptisch, dass die russischen Behörden in der Lage und willens sind, den wahren Hintergrund dieses Verbrechens zu untersuchen", heißt es in dem am Freitag veröffentlichten Schreiben an den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und die deutsche EU-Ratspräsidentschaft.

EU-Ratspräsident Charles Michel verurteilte den Giftanschlag auf Nawalny und kündigte eine Debatte über Konsequenzen an. Damit würden zunächst die EU-Außenminister befasst und womöglich auch die Staats- und Regierungschefs, sagte Michel am Freitag in einem Interview mit europäischen Nachrichtenagenturen. Auf die Frage nach einem möglichen Moratorium für das deutsch-russische Pipelineprojekt Nord Stream 2 sagte Michel: "Ich habe nicht die Absicht, heute dazu eine Meinung zu äußern."

Ende von Nord Stream 2?

Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament, Manfred Weber, stellte als Reaktion auf die Vergiftung Nawalnys die umstrittene Pipeline Nord Stream 2 zur Disposition. "Natürlich gehört zu möglichen Sanktionen die härteste: ein partieller Einkaufsstopp bei Rohstoffen. Das Ende von Nord Stream 2 darf nicht mehr ausgeschlossen sein", sagte Weber dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel".

In Deutschland wird heftig über ein Aus für die Pipeline diskutiert. Politiker von Union, Grünen und FDP wollen das milliardenschwere Projekt auf den Prüfstand stellen. Dagegen bremsten vor allem Wirtschaftsvertreter und auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Regierungssprecher Steffen Seibert wollte am Freitag eine frühere Aussage von Kanzlerin Angela Merkel, der Fall Nawalny und die Zukunft von Nord Stream 2 müsse entkoppelt gesehen werden, ausdrücklich nicht wiederholen.

Österreich zurückhaltend

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) zeigte sich zurückhaltend in Bezug auf Nord Stream 2. Er verstehe die Diskussion, meinte Schallenberg am Freitag im Ö1-Mittagsjournal. "Ich weiß aber nicht, ob das ein geeignetes Mittel ist", fügte er hinzu. Die Diskussion müsse aber geführt werden.

Die in der Schweiz ansässige Projektgesellschaft Nord Stream 2 gehört dem russischen Staatskonzern Gazprom, an der Finanzierung der Röhre beteiligen sich fünf westliche Konzerne, darunter die OMV. Das Projekt wird von den USA vehement abgelehnt.

Im Fall Nawalny gab sich die Führung in Moskau unterdessen gesprächsbereit. Ein Sprecher des russischen Präsidialamts sagte am Freitag, man wolle einen Dialog mit Deutschland. Ziel sei es herauszufinden, welche Substanz genau zu Nawalnys Erkrankung geführt habe. Heimische Spezialisten prüften die Angelegenheit.

Die russischen Behörden haben bisher keine Strafermittlungen aufgenommen. Nach ihrer Auskunft gibt es keine Hinweise auf ein Verbrechen. Die russischen Ärzte hatten erklärt, keine Hinweise auf eine Vergiftung gefunden zu haben und sprachen zuletzt von einer "Verdauungsstörung".