Der Konflikt zwischen den verfeindeten Nachbarn Griechenland und Türkei um die Hoheitsrechte im östlichen Mittelmeer schaukelt sich immer weiter hoch. Die EU droht Ankara mit Sanktionen, aber der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan zeigt sich unbeeindruckt. Sein Land werde "keine Zugeständnisse" machen und sich "nehmen, was der Türkei zusteht". Bundesaußenminister Heiko Maas sieht ein "Spiel mit dem Feuer" und warnt eindringlichst: "Jeder noch so kleine Funke kann zu einer Katastrophe führen".

Während die Außenminister der Europäischen Union in Berlin über die wachsenden Spannungen im östlichen Mittelmeer berieten, kündigte die Türkei neue Luft- und Seemanöver im Gebiet zwischen Zypern und Rhodos an. Ab morgen wird mit scharfer Munition geschossen. Unterdessen zieht die "Oruc Reis" südlich der griechischen Insel Kastelorizo ihre Bahnen. Das türkische Forschungsschiff (siehe kleines Bild) sucht ungeniert nach Erdgasvorkommen unter dem Meeresboden – in einem Seegebiet, das nach dem internationalen Seerecht explizit zur Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) Griechenlands gehört.

Der griechisch-türkische Streit um die Bodenschätze schwelt seit Jahrzehnten. Unter Berufung auf die UNO-Seerechtskonvention beansprucht Griechenland für jede seiner Inseln eine eigene AWZ. Die Türkei erkennt das UNO-Abkommen nicht an und vertritt die Auffassung, dass Inseln überhaupt keine eigenen Wirtschaftszonen haben. Die EU und die USA teilen die griechische Auslegung des Seerechts. Dass sie der Türkei nicht gefällt, ist nachvollziehbar: Die Ägäis ist bis direkt vor die türkische Küste gespickt mit griechischen Inseln.



Immer wieder hat es Anläufe gegeben, den Konflikt auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Herausgekommen ist dabei nichts. Der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis will deshalb den Streit dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag zur Schlichtung vorlegen. Voraussetzung wäre, dass beide Parteien die Gerichtsbarkeit des IGH anerkennen und sich vorab verpflichten, sein Urteil umzusetzen. Die Türkei hat bisher allerdings nicht erkennen lassen, ob sie dazu bereit ist.

Die "Oruc Reis" zieht südlich der griechischen Insel Kastelorizo ihre Bahnen
Die "Oruc Reis" zieht südlich der griechischen Insel Kastelorizo ihre Bahnen © (c) AP



Die türkischen Gas-Explorationen sind nur Mosaiksteinchen eines größeren Bildes. Seit Jahren meldet die Türkei Ansprüche auf eine Anzahl von Inseln an, die bisher zu Griechenland gehören. Erdogan geht einen Schritt weiter: Er greift nach der Vorherrschaft im östlichen Mittelmeer und Nahen Osten. Dafür führt Erdogan Kriege im Nordirak, in Syrien und Libyen – und vielleicht schon bald gegen Griechenland.

Bei seinen Großmachtfantasien scheut Erdogan keinen Konflikt: Im Juni richteten türkische Kriegsschiffe vor der Küste Libyens ihr Feuerleitradar auf eine französische Fregatte, die die Einhaltung des UNO-Waffenembargos überwachen sollte und ein verdächtiges Frachtschiff kontrollieren wollte. Die Franzosen drehten dann in weiter Folge ab.

Jetzt verschärft die Türkei ihre Drohungen. Nachdem Griechenland unter Berufung auf das internationale Seerecht die Ausdehnung seiner Hoheitsgewässer im ionischen Meer auf zwölf Meilen ankündigte, droht Vizepräsident Fuat Oktay Griechenland mit Krieg, wenn es auch in der Ägäis seine Hoheitszone erweitern sollte. Die EU sieht der türkischen Aggressivität weiter hilflos zu. Die Außenminister drohen Ankara zwar seit Monaten mit Sanktionen, zögern aber, sie umzusetzen – wohl aus Angst, Erdogan könnte eine neue Migrationswelle in Richtung Europa auslösen.

Der Konflikt hat außerdem eine innertürkische Dimension: Mit viel Säbelrasseln will Erdogan die Wirtschaftskrise überspielen. Die Lira taumelt von einem Tief zum nächsten, die Arbeitslosigkeit steigt, Investoren weichen. Erdogans Regierungspartei AKP, die bei den Wahlen 2011 fast 50 Prozent erreichte, liegt in Umfragen nur noch bei 30 Prozent. Bis 2023 muss sich der "Sultan" Parlaments- und Präsidentenwahlen stellen.

Er steht unter Druck – und das macht den türkischen Machthaber noch unberechenbarer.