Die Polizei ging am Sonntag an Lukaschenkos 66. Geburtstag gegen friedliche Demonstranten vor. Uniformierte steckten vor allem Männer in Gefangenentransporter, wie auf Bildern und Videos zu sehen war. Ein Reporter berichtete aus Minsk, dass der Unabhängigkeitsplatz komplett mit Metallgittern abgesperrt war. Dorthin wollten die Demonstranten ziehen. Mehr als 150 Menschen seien bis zum Nachmittag festgenommen worden, teilte das Innenministerium mit.
Uniformierte versuchten, mit Geländewagen, die an der vorderen Stoßstange hohe Metallgitter hatten, die Menschen im Zentrum zurückzudrängen. Zu sehen war auf Bildern, wie sich Frauen davor auf die Straße legten. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort. Auch Wasserwerfer wurden in Stellung gebracht. Demonstranten riefen den Polizisten "Schande" entgegen. Bei Festnahmen waren auch Schreie zu hören. Vereinzelt wehrten sich die Bürger dagegen.
Zu dem Protest hatte die Demokratiebewegung aufgerufen. Lukaschenko solle an seinem Geburtstag sehen, dass das Volk gegen ihn und seine Zeit an der Macht abgelaufen sei, hieß es. Protestmärsche gab es in Minsk an verschiedenen Stellen, aber auch in anderen Städten.
Lukaschenkos Sprecherin veröffentlichte indessen ein Foto, das den Staatschef mit einer Maschinenpistole vor dem Gebäude zeigt. Er war bereits vor einer Woche mit einer Kalaschnikow aufgetreten.
Der russische Präsident Wladimir Putin nutzte einen Gratulationsanruf zu Lukaschenkos Geburtstag, um seinen Kollegen nach Moskau einzuladen. Das laut russischem Präsidialamt in den kommenden Wochen geplante Treffen wäre ihr erstes seit Beginn der Proteste. Putin hatte Lukaschenko diese Woche angeboten, eine Polizeitruppe nach Belarus zu entsenden, wenn die Unruhen dort außer Kontrolle geraten sollten.
A1, einer der größten weißrussischen Mobilfunkanbieter erklärte, er habe die Bandbreite für das mobile Internet auf Geheiß der Regierung reduziert.
Österreich verurteilt Verhaftungen
Das Außenministerium in Wien verurteilte am Sonntag einmal mehr "aufs Schärfste" die Verhaftung friedlicher Demonstranten und den Einsatz schwerer militärischer Ausrüstung. "Dies muss unverzüglich gestoppt werden. Es besteht dringender Bedarf nach einem inklusiven nationalen Dialog!", forderte das Außenministerium im Kurznachrichtendienst Twitter. "Wieder einmal, ist eine beeindruckende Zahl von Menschen auf den Straßen von #Belarus, um sicherzustellen, dass ihre Forderungen nach Veränderung, Achtung der demokratischen Grundsätze und Menschenrechte Gehör finden."
Bereits am Samstag gab es Proteste, an denen sich hauptsächlich Frauen beteiligten. Sie nehmen in der Demokratiebewegung in Belarus eine herausragende Stellung ein. Das Innenministerium sprach von landesweit 8.500 Teilnehmern. 29 Menschen wurden festgenommen. Zuletzt waren die Sicherheitskräfte wieder verstärkt gegen Demonstranten vorgegangen. Zu Beginn der Proteste gab es Tausende Festnahmen.
Jeden Tag auf der Straße
Seit der Präsidentenwahl vor drei Wochen gehen die Menschen in dem zwischen Russland und EU-Mitglied Polen gelegenen Land jeden Tag auf die Straße. Sie fordern den Rücktritt Lukaschenkos nach 26 Jahren an der Macht und Neuwahlen. Doch der beansprucht den Wahlsieg mit 80,1 Prozent der Stimmen für sich. Die Opposition hält dagegen Swetlana Tichanowskaja für die wahre Siegerin.
International steht die Abstimmung als grob gefälscht in der Kritik. Russlands Präsident Wladimir Putin bekräftigte am Wochenende dennoch, dass er Lukaschenko für den Wahlsieger hält. Mit Blick auf die Fälschungsvorwürfe meinte er: In der Welt sei nichts "ideal". Bei einem Telefonat am Sonntag zu Lukaschenkos Geburtstag vereinbarten beide Präsidenten das persönliche Treffen in Moskau, wie der Kreml mitteilte. Ein genauer Zeitpunkt wurde aber nicht genannt.
Putin hatte seinen unter Druck stehenden Kollegen in Minsk zuletzt demonstrativ den Rücken gestärkt und ihm zugesichert, im Falle einer Eskalation notfalls Sicherheitskräfte seines Innenministeriums ins Nachbarland zu schicken. Moskau hatte zuvor den Westen davor gewarnt, sich in den Machtkampf einzumischen.
In den vergangenen Tagen gerieten auch Journalisten ins Visier der autoritären Staatsführung. Mehreren Vertretern westlicher Medien, wie AFP, AP, BBC, ARD und Radio Liberty, seien die Akkreditierungen entzogen worden, berichtete ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur in Minsk. Einige seien bereits des Landes verwiesen worden. Die Behörden wollen damit offenbar eine Berichterstattung über die landesweiten Proteste verhindern. Der ORF berichtet nach eigenen Angaben, aufgrund Russlands Corona-Reisebeschränkungen, derzeit über Weißrussland aus Moskau.
International gab es Kritik am Vorgehen der Behörden. "Wenn Journalistinnen und Journalisten willkürlich und ohne jede Rechtsgrundlage festgesetzt und durch den Entzug ihrer Arbeitserlaubnis an ihrer wichtigen Arbeit gehindert werden, dann ist das überhaupt nicht akzeptabel", sagte der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD). Sein französischer Kollege Jean-Yves Le Drian sagte: "Die willkürlichen Maßnahmen der belarussischen Behörden gegen Journalisten stehen im Widerspruch zur Pressefreiheit."
Militär setzt Manöver fort
Ungeachtet dessen setzte das weißrussische Militär am Sonntag seine Manöver bei Grodno im Westen des Landes fort. Dem Verteidigungsministerium zufolge kommen dabei auch Panzer, Fallschirmjäger und Artillerie zum Einsatz. Lukaschenko hatte damit gedroht, notfalls auch das Militär gegen Demonstranten einzusetzen.
Angesichts der schweren politischen Krise in Weißrussland rief die katholische Kirche zu Gebeten für das Land auf. Die Menschen sollten im September für die Fürsprache des Erzengels Michael beten, "die Eskalation des Konflikts zu beenden und die Krise schnell zu lösen", heißt es in einem Hirtenbrief des Minsker Erzbischofs Tadeusz Kondrusiewicz, der am Sonntag in den katholischen Kirchen des Landes verlesen wurde, wie Kathpress berichtete. Der Erzengel Michael ist Hauptpatron der Kirche in Belarus. Der katholischen Kirche gehören etwa 10 bis 15 Prozent der 9,5 Millionen Weißrussen an. Die überwiegende Mehrheit der Bürger des Landes sind orthodoxe Christen.