Muss die EU hilflos mitansehen, wie sich der "letzte Diktator Europas" mit Unterstützung Russlands an der Macht hält? Oder gibt es doch Möglichkeiten, die Opposition zu unterstützen? Je länger die Proteste und Streiks in Weißrussland ohne Entgegenkommen von Dauerpräsident Alexander Lukaschenko andauern, desto besorgter wird aus der EU in das Land zwischen Russland und Polen geblickt.

An diesem Mittwoch schalten sich nun sogar die Staats- und Regierungschefs mitten in der politischen Sommerpause per Videokonferenz zu einem Sondergipfel zusammen. Was man in Weißrussland beobachtet habe, sei nicht hinnehmbar, schrieb EU-Ratspräsident Charles Michel im Einladungsschreiben in Anspielung auf die offensichtliche Fälschung der Präsidentenwahl und die anschließende Polizeigewalt gegen Demonstranten. "Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden."

Ritt auf der Rasierklinge

Für die EU ist die Weißrussland-Politik allerdings ein Ritt auf der Rasierklinge - zumindest dann, wenn sie nicht nur aus den bereits angekündigten Einreisesperren gegen Unterstützer Lukaschenkos bestehen soll. Auf der einen Seite will sie zeigen, dass sie diejenigen nicht im Stich lässt, die sich für Demokratie und Meinungsfreiheit einsetzen. Auf der anderen Seite muss sie fürchten, dass eine direkte Unterstützung der Lukaschenko-Gegner eine Intervention Russlands provozieren könnte.

So warnte Kremlchef Wladimir Putin am Dienstag kurz vor dem Sondergipfel in einem Telefonat mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel vor Versuchen, sich "von außen in innere Angelegenheiten der Republik einzumischen". Dann könnte die Lage weiter eskalieren. Bereits am Wochenende hatte Putin nach Gesprächen mit Lukaschenko mitteilen lassen, dass Russland bereit sei "die erforderliche Hilfe bei der Lösung auftretender Probleme zu leisten".

Putin schürt gezielt Sorge

Vermutlich ganz gezielt schürt Putin damit die Sorge, dass es wie in der Ukraine zu einem jahrelangen blutigen Konflikt kommen könnte - auch wenn die Ausgangslage eine deutlich andere ist und die Opposition in Weißrussland immer wieder erklärt, dass sie keinen Bruch mit Moskau will. In der Ukraine hatte Putin 2014 nach prowestlichen Protesten mit der militärischen Unterstützung russlandfreundlicher Kräfte begonnen. Auch sechs Jahre später ist der Konflikt weit von einer Lösung entfernt. Dass sich so etwas wiederholt und der Unruheherd an der östlichen EU-Außengrenze noch größer wird, will die EU um jeden Preis vermeiden.

Protest in Minsk
Protest in Minsk © (c) AP (Dmitri Lovetsky)

Für die demonstrierenden Menschen in Weißrussland bedeutet dies, dass sie vom EU-Sondergipfel wohl nicht viel mehr erwarten können, als symbolische Unterstützung und neue diplomatische Initiativen. Aus EU-Kreisen hieß es, dass zum Beispiel über die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ein Dialog für eine friedliche Beilegung der Krise organisiert werden könnte. In ihr ist neben den EU-Staaten und Weißrussland auch Russland vertreten. Schon finanzielle Hilfen für die Opposition könnten die EU hingegen in Erklärungsnot bringen - zumal auch EU-Ratspräsident Michel vor dem Sondergipfel erklärte, dass es in der Krise "keine Einmischung von außen" geben sollte.

Für die EU steht viel auf dem Spiel

Nicht nur für die EU, sondern auch für Russland steht viel auf dem Spiel. Russland sieht den osteuropäischen Staat als wichtige Pufferregion zwischen dem NATO-Gebiet und seinem Territorium an. Zudem ist es ihm wichtig, dass die Ex-Sowjetrepublik als Transitland für Öl und Gas nicht in die westliche Einflusszone gelangt.

Das zu erreichen, dürfte allerdings schwer werden. Eine mögliche militärische Intervention zugunsten des Lukaschenko-Lagers wäre aufwendig, teuer und könnte sowohl innen- als auch außenpolitisch schwerwiegende Folgen haben. So müsste Russland zum Beispiel eine weitere Verschlechterung des Verhältnisses zur EU und neue Sanktionen fürchten. Deshalb sei diese Option sehr unwahrscheinlich, sagt der Minsker Analyst Artjom Schraibman.

Schneller Schurz gefährlich

Ein unkontrollierter und schneller Sturz des seit 26 Jahren amtierenden Staatschefs mit anschließenden Neuwahlen dürfte für Putin allerdings ebenfalls gefährlich sein. "Zu hoffen, dass ein Nachfolger Lukaschenkos automatisch weiter auf die engen Beziehungen zu Moskau setzen wird, ist viel zu riskant für den Kreml", sagt der Politologe Dmitri Trenin von der renommierten Denkfabrik Moskauer Carnegie Center. Zudem könnte eine solche Entwicklung auch die Opposition in Russland ermutigen, bei ihren Protesten gegen Putin noch mehr zu wagen.

Laut Trenin könnte deswegen ein kontrolliertes politisches Ende des als "letzter Diktator Europas" kritisierten Präsidenten eine Option sein. "Lukaschenko müsste davon überzeugt werden, dass das Exil die beste Wahl unter den gegenwärtigen Umständen ist", sagt er. Dann müsse der Übergang nicht sofort in Neuwahlen münden und der Kreml könnte versuchen, den Machtwechsel zu seinen Gunsten mitzubestimmen.