Alexander Lukaschenko scheint gewillt, zum letzten Mittel zu greifen. Im Ringen um die Macht in Weißrussland schickte der Diktator am Sonntag Fallschirmjäger in mehrere Provinzen des Landes. Zuvor hatte er sich bei Wladimir Putin rückversichert, dass Russland jede Form der Konfliktlösung unterstützt, auch eine militärische. Sogar von der Möglichkeit einer Intervention von außen war die Rede. Wahrscheinlicher jedoch ist die baldige Verhängung des Ausnahmezustands im Innern, abgesichert vom eigenen Militär. Das Szenario ergibt sich fast zwingend aus der Vorgeschichte. Denn Lukaschenko hat seit dem Frühjahr das geradezu klassische Programm eines realitätsblind gewordenen Langzeitdiktators exekutiert.
Erster Akt: Nach 26 Jahren an der Macht hielt es der Alleinherrscher für undenkbar, dass die Menschen im Land seine Führung in Frage stellen könnten. Also setzte er ganz regulär eine Wahl an, um sich fünf weitere Jahre im Präsidentenamt zu sichern. Die populärsten Gegenkandidaten ließ er einsperren oder trieb sie ins Exil. Am Ende blieben drei Frauen übrig, die ihn herausforderten. Er ignorierte sie, weil er sie so wenig ernst nahm wie das ganze Volk.
Zweiter Akt: Als sich die Menschen für die Frauen begeisterten, die in einer ganz anderen, respektvollen Sprache redeten, ließ er die Wahl gnadenlos fälschen. Schon im Vorfeld hatte er allen, die zum Protest bereit waren, mit Blutvergießen gedroht. Auch diesen Plan exekutierte der Diktator. Er hetzte seinen wehrlosen Landsleuten die berüchtigte Sonderpolizei Omon auf den Hals, ließ schlagen, schießen und foltern. Doch damit fachte er die Empörung noch mehr an. Die Wut der Menschen kochte so hoch, dass ihre Angst verschwand. Die Proteste nahmen zu. Sogar die systemrelevanten Staatsbediensteten streikten.
Dritter Akt: Lukaschenko änderte die Taktik und gab ein wenig nach. Er ließ einige Inhaftierte frei und vorerst nicht mehr prügeln. Am Sonntag karrten seine Schergen dann Tausende Unterstützer des Regimes in die Hauptstadt Minsk, damit sie für den Herrscher demonstrierten. Das wirkte wie das letzte Aufgebot. Die Inszenierung beeindruckte niemanden mehr. Wie auch Lukaschenkos Satz nicht, er werde eher sterben, als das Land seinen Gegnern überlassen.
Vierter Akt: Damit ist klar, dass sich die revolutionäre Stimmung in Weißrussland und der erwachte Freiheitswille mit den klassischen Mitteln aus dem Diktatoren-Handbuch nicht mehr unterdrücken lassen. Also bleibt nur noch Flucht, oder die Verhängung des Ausnahmezustands samt Militäreinsatz. Angesichts von Putins Unterstützung ist es wenig wahrscheinlich, dass Lukaschenko weichen wird. Der Schlussakt ist das aber noch nicht. Denn die Menschen in Weißrussland haben längst gezeigt, dass sie einen echten Wandel wollen. Gewalt allein wird sie nicht mehr umstimmen.
unserem Korrespondenten Ulrich Krökel