Im Nahen Osten könnte das Abkommen die strategischen Verhältnisse neu sortieren. Als erster Staat der Golfregion wollen die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) diplomatische Beziehungen mit Israel aufnehmen. Andere wie Bahrain, Oman oder Saudi-Arabien könnten folgen. Nach den Friedensverträgen mit Ägypten 1979 und Jordanien 1994 ist das „Abraham Abkommen“ das dritte Bündnis Israels mit einer arabischen Nation. Dafür sagte Tel Aviv zu, die angekündigte Annexion von Teilen des Westjordanlands aufzugeben – zumindest vorerst. US-Präsident Donald Trump, der jeden außenpolitischen Erfolg dringend braucht, will die Vereinbarung mit einer großen Zeremonie im Weißen Haus besiegeln. Doch ob sich die hochfliegenden Erwartungen erfüllen, wird erst die Zukunft zeigen. Was bedeutet die Normalisierung zwischen Israel und den Emiraten?
Fünf Fragen, fünf Antworten.
Welchen Stellenwert hat das neue Abkommen?
Trump sprach von einem „wirklich historischen Moment“. Sein Sicherheitsberater suggerierte gar, der US-Präsident habe den Friedensnobelpreis verdient. Zum ersten Mal gelingt es Israel, den diplomatischen Abwehrring der Golfstaaten zu knacken, ohne nennenswerte Konzessionen in der Palästinenserfrage zu machen. Eine erste Initiative des saudischen Königs Abdullah im Jahr 2002, der eine umfassende Normalisierung der Beziehungen gegen eine Zweistaatenlösung in den Grenzen von 1967 anbot, ließ der damalige Regierungschef Ariel Scharon unbeantwortet. Im Januar gab Trump dann mit dem „Jahrhundertplan“ seines Schwiegersohnes Jared Kushner dem heutigen Premier Benjamin Netanjahu sogar grünes Licht für weitere Annexionen, eine Option, die dieser nun – wenn auch unter Vorbehalt - gegen volle Beziehungen mit den Emiraten eintauschte. Auch zuvor gab es bereits Kooperationen hinter den Kulissen. Sie sollen nun offiziell ausgebaut werden in Feldern wie Medizin, Umwelt, Cybersicherheit, Tourismus und Energie.
Wie sind die Reaktionen im Nahen Osten?
Ausgelöst durch den Arabischen Frühling 2011 haben sich in der Region zwei tiefe Gräben gebildet. Zum einen zwischen Sunniten und Schiiten, zum anderen zwischen Staaten, die die Ideologie der Muslimbrüder fördern, und Staaten, die diese Form des politischen Islam mit aller Macht unterdrücken. Das Abkommen zwischen den Emiraten und Israel stärkt die Allianz der sunnitischen Anti-Muslimbruder-Staaten, zu der auch Ägypten, Saudi-Arabien und Bahrain gehören. Sie sehen sich in einer doppelten Konfrontation - gegen die schiitische Vormacht Iran und gegen die sunnitische Muslimbruder-Schutzmacht Türkei. Entsprechend fielen die Reaktionen aus. Die Verbündeten der Emirate lobten in moderaten Tönen. Die Türkei dagegen sprach von „Verrat an der palästinensischen Sache“, der Iran von einer „strategischen Dummheit“. Aber auch in der Bevölkerung der Emirate und Saudi-Arabiens rührt sich Kritik. Tausende verurteilten den Schritt unter dem Hashtag „Normalisierung ist Verrat“.
Was sind die Motive der Akteure?
Benjamin Netanjahu gewinnt einen agilen Verbündeten gegen den Iran und die Türkei. Gleichzeitig kann er den beträchtlichen außenpolitischen Flurschaden abwenden, der durch die Annexion weiterer palästinensischer Gebiete entstanden wäre, und ihn ummünzen in weltweiten Applaus. Auch die Forderungen radikaler Siedler lassen sich jetzt mit gutem Grund auf die lange Bank schieben. Zudem reklamierte Trumps Schwiegersohn Kushner, der die Verhandlungen in den letzten sechs Wochen steuerte, ein Vetorecht. Israel werde keine Gebiete annektieren, ohne dies zuvor mit den USA diskutiert zu haben, erklärte er.
Abu Dhabi will sich in Washington als zentraler strategischer Partner in der Region positionieren. Denn wegen seiner aggressiven Kriegspolitik im Jemen und in Libyen steht das „Sparta am Golf“ beim US-Kongress zunehmend in der Kritik. Im Falle Libyens ignorieren die Emirate ebenso wie die Türkei alle internationalen Versuche, ausländische Waffenlieferungen zu unterbinden, um den Bürgerkrieg auszutrocknen. Trotzdem signalisierte das Weiße Haus Kronprinz Mohamed bin Zayed in den Israel-Gesprächen, er könne künftig in den USA besseres, bisher für Tel Aviv reserviertes Kriegsgerät kaufen, unter anderem die neueste Generation von Drohnen.
Was bedeutet die Entwicklung für die Palästinenser?
Die Führung der Palästinenser wurde durch die Entwicklung völlig überrascht. Präsident Mahmoud Abbas sprach von „Verrat” und zog seinen Botschafter aus Abu Dhabi ab. Der Zwei-Staaten-Lösung kommen die Palästinenser durch dieses Abkommen nicht näher, der Status Quo bleibt zementiert. Trotzdem tat der emiratische Außenminister Anwar Gargash ihre Proteste ab als „das übliche Geschrei“. Man habe sich damit herumgeschlagen, sagte er, aber dann doch entschieden, „wir ziehen das durch“.
Wie gut funktionieren die beiden Friedensverträge mit Jordanien und Ägypten?
Auch Jahrzehnte später sind in beiden Völkern die Vorbehalte gegen Israel wegen dessen harscher Besatzungspolitik unverändert hoch. Für normale Ägypter ist es praktisch unmöglich, nach Israel zu reisen, obwohl es eine direkte Flugverbindung zwischen Kairo und Tel Aviv gibt. Einzige Ausnahme sind koptische Pilger, die aber nachher von der ägyptischen Staatssicherheit verhört werden. Der israelische Tourismus nach Jordanien ist nach anfänglicher Euphorie stark zurückgegangen. Die Führungen beider arabischer Nachbarn jedoch unterhalten eine enge Sicherheitspartnerschaft mit Israel im Kampf gegen radikale Jihadisten. Vor allem auf dem Nordsinai hat sich der „Islamische Staat“ inzwischen so fest etabliert, dass die ägyptische Armee mehrfach israelische Kampfjets zu Hilfe holen musste.
unserem Korrespondenten Martin Gehlen