Juan Carlos verlässt Spanien“, titelten in großen Buchstaben fast alle spanischen Tageszeitungen. Doch die Umstände dieser plötzlichen Ausreise jenes Mannes, der 39 Jahre lang Spaniens königliches Staatsoberhaupt war, gleichen eher einer Flucht.
Denn der öffentliche Druck auf den König im Ruhestand, der wegen eines Korruptionsskandals und geheimer Auslandskonten im Zwielicht steht, war zuletzt immer größer geworden. So groß, dass sein Sohn, König Felipe, der 2014 die Krone geerbt hatte, sich gezwungen sah, seinem Vater den Stuhl vor die Palasttür zu stellen.
Kurz nachdem der 82-jährige Juan Carlos I. am Wochenende seinen Abschiedsbrief an Felipe diktiert hatte, soll er das Land verlassen haben. Als das Königshaus am Montagabend die Bombe platzen ließ und das Schreiben veröffentlichte, befand sich Juan Carlos offenbar schon in der Ferne. Ohne Königin Sofía. Die 81-jährige Mutter Felipes lebt wegen der zahlreichen Liebesabenteuer ihres Angetrauten schon länger von Juan Carlos getrennt. Sie wird nicht mit den illegalen Machenschaften in Verbindung gebracht und darf weiterhin im Madrider Zarzuela-Palast, dem offiziellen Sitz der Königsfamilie, wohnen.
Zuflucht in der Dominikanischen Republik
Die monarchistische Zeitung „ABC“ will indes erfahren haben, dass der alte König am Montag von der portugiesischen Stadt Porto in die Dominikanische Republik geflogen ist. In dem Karibikstaat besitzt sein kubanischer Millionärsfreund Pepe Fanjul, ein steinreicher Zuckerfabrikant, einen luxuriösen Hotelkomplex namens „Casa de Campo“. Fanjul habe ihm angeboten, erst einmal dort, in einer abgeschirmten Residenz, Zuflucht zu suchen, heißt es.
Das Königshaus schweigt dazu. Währenddessen betont Juan Carlos’ Anwalt, dass sein Mandant mit dem Verlassen des Landes keineswegs vor den Strafverfolgern geflohen sei, die eine Anklage gegen den alten König prüfen. Vielmehr stehe das Ex-Staatsoberhaupt weiterhin der Justiz zur Verfügung. Man wird sehen, ob diese Zusicherung mehr als eine Beruhigungspille für die Öffentlichkeit ist. Die Stunde der Wahrheit könnte schon bald schlagen. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass die Staatsanwaltschaft des Obersten Gerichtshofs in Madrid demnächst vorschlägt, Juan Carlos auf die Anklagebank zu setzen.
Eine Elefantenjagd war das Anfang vom Ende
Der 82-Jährige wird schon öfter den Tag verflucht haben, an dem er sich in die deutsche Geschäftsfrau Corinna zu Sayn-Wittgenstein verliebte. Mehrere Jahre blieb die außereheliche Beziehung geheim. Bis 2012. Damals brach sich Juan Carlos bei einer Elefantenjagd in Botswana die Hüfte. Und die Öffentlichkeit erfuhr dadurch, dass nicht Sofía, sondern Sayn-Wittgenstein seine Begleiterin war.
Das war das Ende der Beziehung zwischen Juan Carlos und Corinna. Und der Anfang des königlichen Untergangs. Denn die Ermittlungen kamen in Gang, nachdem die von Juan Carlos enttäuschte Deutsche mit einem spanischen Polizeioffizier über die illegalen Geschäfte ihres royalen Liebhabers plauderte. Der Beamte nahm die vertraulichen Gespräche, die 2015 und 2016 geführt wurden, auf. Die Bänder landeten schließlich bei der spanischen Justiz und wurden auch mehreren Medien zugespielt.
Prall gefüllte Schwarzgeldkonten in der Schweiz
Auf den Aufnahmen berichtet Sayn-Wittgenstein, dass Juan Carlos prall gefüllte Schwarzgeldkonten in der Schweiz unterhalte. Dass er die Geldflüsse mithilfe von Strohmännern verschleiere. Und dass er während seiner Zeit als Staatsoberhaupt für lukrative Geschäfte, die er zwischen der spanischen Industrie und arabischen Ölstaaten vermittelt habe, millionenschwere Schmiergelder kassierte. „Er unterscheidet nicht zwischen dem, was legal ist und was illegal ist“, sagte Sayn-Wittgenstein.
Im Mittelpunkt des Skandals steht ein „Jahrhundertauftrag“, den Juan Carlos für die spanische Wirtschaft einfädelte: der Bau einer Schnellzugstrecke in Saudi-Arabien, von Medina nach Mekka, die 2018, zehn Jahre nach der Ausschreibung, fertiggestellt wurde. Auftragswert des „Wüstenzuges“: 60 Milliarden Euro. Allein dafür sollen 2008 rund 100 Millionen Dollar auf Juan Carlos’ Schweizer Konto geflossen sein.
Die Ermittlungen scheinen Indizien dafür geliefert zu haben, dass die Vorwürfe zutreffen. Schweizer und spanische Ermittler fanden reichhaltiges Material. Dazu gehören Bankdokumente, welche die dunklen Finanzmanöver belegen sollen. Und Aussagen eines Schweizer Vermögensberaters, wonach der König im Jahr 2010 mit einem Koffer voller Geld in Genf aufgetaucht sei, um 1,7 Millionen Dollar auf seinem Geheimkonto einzuzahlen.
Die spanische Monarchie unter großem Druck
Schlimme Enthüllungen, welche die spanische Öffentlichkeit schockten. Und welche Felipe VI. zwangen, mit seinem Vater zu brechen und ihn schließlich in die Verbannung zu schicken. Eine Entscheidung, die mit der spanischen Regierung abgestimmt worden ist. „Die Monarchie konnte nicht länger den Verlust des Ansehens hinnehmen“, schreibt „La Vanguardia“, Spaniens zweitgrößte Zeitung. In der Tat deuten Umfragen darauf hin, dass die Bevölkerung nicht mehr mehrheitlich hinter dem Königshaus steht.
Wie geht es nun weiter? Eine Anklage ist im Falle eines spanischen Königs nicht so einfach. Laut Spaniens Verfassung kann das Staatsoberhaupt für Straftaten während der Amtszeit grundsätzlich nicht belangt werden. Somit scheidet eine Anklage wegen Amtsmissbrauch und Korruption aus. Nur Delikte, die Juan Carlos nach der Abdankung im Jahr 2014 begangen hat, können geahndet werden. Spaniens Staatsanwälte prüfen derzeit, ob genügend Beweise für eine Anklage wegen fortgesetzter Steuerhinterziehung und Geldwäsche in den nachfolgenden Jahren vorliegen.
Neuigkeiten könnten demnächst wieder von Corinna zu Sayn-Wittgenstein kommen. Die 55-Jährige muss Anfang September vor einem spanischen Untersuchungsrichter wegen jener brisanten Tonbänder aussagen, auf denen sie Juan Carlos beschuldigt. Da sie dem König vorwirft, sie in die schmutzigen Geschäfte gegen ihren Willen hineingezogen zu haben, könnte es gut sein, dass sie dann die nächste Bombe zündet. Denn der großen Liebe scheint nun der große Zorn gefolgt zu sein.
unserem Korrespondenten Ralph Schulze aus Madrid