"Unfair und betrügerisch!": US-Präsident Donald Trump wird in diesen Tagen nicht müde, sich kritisch zur Möglichkeit der Briefwahl bei den bevorstehenden Präsidentenwahlen im November zu äußern. Am Dienstag kündigte er an, den US-Bundesstaat Nevada wegen eines neuen Gesetzes zur Versendung an Stimmzettel an alle Wähler zu verklagen. Der Möglichkeit zur Briefwahl kommt dieses Jahr wegen des Ansteckungsrisikos in Zeiten der Corona-Krise eine besondere Bedeutung zu.
Zudem behauptet Trump, die Auszählung könne Jahre dauern. Das Wahlergebnis müsse in der Wahlnacht feststehen, "nicht Tage, Monate oder gar Jahre später", forderte Trump am Donnerstag auf Twitter in Anspielung darauf, dass die Auswertung von Briefwahl-Stimmen länger dauern könnte als jene aus den Wahlkabinen. Er unterstellt den Demokraten, die Briefwahl komme vor allem ihrer Partei zugute, weil sie eher von ärmeren Menschen ohne Auto oder von Studenten genutzt werde, die eher demokratisch wählen.
FRAGE: Was ist dran an Trumps Aussagen, der Wahlgang 2020 werde dank der Briefwahl "zur ungenauesten und betrügerischsten Wahl in der Geschichte"? Stimmt es, dass die Demokraten von der Briefwahl überproportional profitieren?
ANTWORT: Experten finden keine Belege für Trumps Behauptung. Eine Studie der Stanford Universität kam im April 2020 bei einer Untersuchung von Briefwahlen in den Bundesstaaten Kalifornien, Utah und Washington zu dem Ergebnis, dass die Briefwahl keine der beiden Parteien statistisch signifikant bevorzugt habe.
Nathaniel Persily, Jurist und Forscher an der Stanford Law School, wies in einem Interview gegenüber NPR darauf hin, dass die Briefwahl in Zeiten von Corona möglicherweise den Republikanern zugute kommen könne. "Die meist gefährdete Risikogruppe - ältere Menschen - tendiert eher dazu, republikanisch zu wählen", betonte Persily. "Es ist diese Gruppe, die heuer wahrscheinlich verstärkt auf die Briefwahl zurückgreift."
Was Trumps Aussage betrifft, die Briefwahl führe vermehrt zu Manipulationen - "viele werden doppelt wählen" - weisen Experten darauf hin, dass dies angesichts der üblichen Sicherheitsstandards in Bezug auf Unterschriftsüberprüfung und Strichcodes auf den Wahlunterlagen äußerst schwierig sei. Wahlfälschung, betont Charles Stewart, der am Massachusetts Institute of Technology Wahlabläufe erforscht, sei in den USA extrem selten. 2010 wurde in Kentucky ein Fall vor Gericht verhandelt, bei dem es um Stimmenkauf ging. Dennoch seien diese Fälle extrem selten.
Twitter hatte kürzlich einen entsprechenden Tweet des Präsidenten als Falschmeldung markiert:
Nicht zutreffend ist Trumps Aussage, die Briefwahlkarten würden an "irgendwen" geschickt: Sie ergehen nur an Wähler, die sich zuvor registrieren ließen. Die Auszählung dauert manchmal einige Tage länger als bei der Abstimmung im Wahllokal - allerdings nicht Jahre.
In der Bevölkerung ist gerade im heurigen Pandemie-Jahre die Unterstützung für die Briefwahl hoch: Eine Umfrage des Pew Research Centers zufolge befürworten 70 Prozent Amerikanern diese Möglichkeit.
Beobachter fürchten, Trump stellte die Legitimität der Briefwahl im Vorfeld bewusst infrage, um im Falle einer Wahlniederlage im November das Wahlergebnis als zweifelhaft darstellen zu können.