Népszabadság, Magyar Nemzet, Heti Válasz – alles Traditionstitel der ungarischen Medienlandschaft, die in den letzten Jahren von ihren Eigentümern zugesperrt wurden. Sie seien unwirtschaftlich, hieß es. Kritiker mutmaßen, dass im Hintergrund die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán die Strippen zog, denn all diese Medien standen seiner Regierung kritisch gegenüber. Beweisen kann man es bis heute nicht.

Noch bevor all diese Medien starben, wurden andere von regierungsnahen Geschäftsleuten gekauft und umgepolt. Etwa die einst liberale, heute konservative Zeitung Magyar Hirlap. Oder, prominenter, das Nachrichtenportal orogo.hu, einst das meistgelesene Portal im Land. Es gehörte der Deutschen Telekom, bis sie es an einen regierungsnahen Investor verkaufte. Der Chefredakteur ging, mit ihm die ganze Redaktion. Heute vertritt origo.hu in seiner Berichterstattung durchgehend das Narrativ der Regierung.

Gespenstisch

Jetzt scheint sich die Geschichte von Origo gespenstisch zu wiederholen. Mittlerweile ist Index.hu das meistgelesene Portal. Von allen unabhängigen Medien stellt index.hu, gemessen an den Klicks, fast die Hälfte des Marktes dar. Nun wurde der Chefredakteur, Szabolcs Dull, gefeuert. Gut 80 der 90 Index-Journalisten kündigten daraufhin.



Das internationale Medienecho ist gewaltig. Aber auch bei den Journalisten anderer unabhängiger ungarischer Medien ist die Stimmung düster. „Wann sind wir dran?”, fragt ein Kollege, der hier nicht genannt werden will. Er erwägt, ganz mit dem Journalismus aufzuhören.

Komplexe Geschichte


Bei genauerem Hinsehen ist es eine ungemein komplexe Geschichte, so komplex, dass westliche Leser bei der Lektüre der Hintergründe wohl bald aufgeben würden. Index gehörte einst dem Orbán-treuen Geschäftsmann Zoltán Spéder, bis dieser in Ungnade fiel. Ein anderer Geschäftsmann aus dem Umfeld Orbáns, Lajos Simicska, übernahm die Firma, der Index gehört, aber dann fiel auch er in Ungnade und kapitulierte – er verkaufte alle seine Medien (so starben Magyar Nemzet und Heti Valasz, die ihm gehörten).

Index besteht aus zwei Firmen, eine GmbH (die Redaktion) und eine Stiftung (die die Anzeigen abwickelt). Arbeitgeber ist letztlich der Kuratoriumschef der Stiftung. Als Miteigentümer hinter den Kulissen traten nach dem Abtritt Simicskas nacheinander zwei andere Orbán-nahe Akteure auf.

All das führte noch nicht zum Skandal. Vielmehr ging es formal um wirtschaftliche Fragen: Das Kuratorium forderte eine Umstrukturierung, um Index wettbewerbsfähiger zu machen. Chefredakteur Dull lehnte den ersten Plan ab (eine Ausgliederung der Ressorts an externe Firmen), machte ihn zudem publik (zumindest wirft ihm dies das Kuratorium vor) und erklärte, die Unabhängigkeit der Redaktion sei in Gefahr. Dull wurde erst aus dem Direktorium entfernt, aber als Chefredakteur behalten – einen Monat später wurde er auch als Chefredakteur entlassen. Das Kuratorium ließ wissen, man habe keine Probleme mit der Redaktion, nur mit Dull, der sich angeblich auch mit Oppositionspolitikern abgestimmt habe. Dull hat sich dazu noch nicht geäußert.

Es ist eigentlich ein Vorgang, der so oder so ähnlich auch bei westlichen Medien denkbar wäre – wirtschaftliche Turbulenzen, Umstrukturierung, neuer Chefredakteur, wenn der alte dagegen ist. Aber in Ungarn ist rasch der Verdacht da, dass dunkle Mächte ihre Hände im Spiel haben. Tatsächlich mag die kritische Berichterstattung von Index ein Faktor gewesen sein, der 2019 zum überraschend klaren Sieg der Opposition bei den Kommunalwahlen in Budapest beitrug. Das Portal hatte tagelang vom Sex-Skandal um den damaligen Bürgermeister der Stadt Gyõr berichtet, der beim Geschlechtsverkehr mit einer Prostituierten gefilmt worden war.

Unwahrscheinlich ist, dass der Marktanteil kritischer Medien sinken wird. Index mag an Bedeutung verlieren, aber andere unabhängige Medien wie das Portal 24.hu dürften entsprechend wachsen. Zudem denken die Ex-Index-Journalisten daran, ein neues Nachrichtenportal zu starten.
Nach wie vor sind der größte TV-Sender (RTL), die größte Boulevard-Zeitung (Blikk), die größte politische Tageszeitung (Népszava) und das außer Index populärste Nachrichtenportal (24.hu) mehr oder minder regierungskritisch.

Dominanz der Regierungstreuen in der Provinz


Über die staatlichen Medien und eine Reihe regierungsnaher Neugründungen haben regierungsfreundliche Medien allerdings immer mehr Gewicht auf dem Medienmarkt. Besonders in der Provinz, wo fast alle Regionalblätter als regierungsfreundlich gelten.