"Die Tatsache, dass es Kritik an ihm gibt, das gehört dazu", sagte Emmanouilidis am Montagnachmittag im APA-Gespräch mit Blick auf kolportierte scharfe Aussagen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Richtung des Kanzlers.
Verhältnis von Kurz und Macron nicht beschädigt
Der Experte sieht das Verhältnis von Kurz und Macron trotzdem nicht nachhaltig beschädigt. "Brüche im persönlichen Verhältnis sehe ich nicht. Das sind Profis, die wissen, wie das Geschäft läuft", sagte der Forscher an der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre (EPC). Aussagen wie jene Macrons dienten dazu, "auf nationaler Ebene zu punkten".
Kurz gehöre nicht erst seit diesem Gipfel "zu den Akteuren, die eine Rolle spielen", sagte Emmanouilidis. Die Gefahr für den Kanzler und auch den niederländischen Premier Mark Rutte bestehe aber darin, dass sie nur als "Vetoplayer" und "Neinsager" wahrgenommen werden anstatt durch eigene Alternativvorschläge. "Da trennt sich dann die Spreu vom Weizen."
Eine ähnlich Gefahr sieht der Experte auch für die Gruppe der "Sparsamen Vier" (Niederlande, Österreich, Schweden und Dänemark). Es sei "erstaunlich", dass sie nicht nur geeint geblieben sei, sondern sogar um Finnland gewachsen sei. In der Vergangenheit habe es sich nämlich "oft gezeigt, dass der eine oder andere abspringt". Die zentrale Frage sei aber, ob sie sich künftig als "Positivkoalition" profilieren könne, die nicht blockiere, sondern eigene Vorschläge mache. Damit bekäme man nämlich mehr Gestaltungsmacht auf EU-Ebene.
Verhandlungen könnten sich ziehen
Emmanouilidis äußerte die Erwartung, dass sich die Verhandlungen beim Brüsseler Gipfel noch in den Dienstag ziehen könnten. "Ich gehe davon aus, dass es eine Einigung geben wird. Jetzt zu sagen, es gibt kein Ergebnis, ist schwierig." Es seien aber noch viele Fragen offen. "Vieles, was noch geklärt werden muss, ist noch gar nicht besprochen worden."
Eine Herausforderung sei auch die im Vergleich zu früheren Budgetverhandlungen größere Komplexität der Fragen. Hier sei es wichtig, "dass man sich einig ist über die Punkte, über die man sich einig ist". Ansonsten könnte es nach dem Gipfel wieder zu Streitigkeiten kommen. Die entsprechenden Details zu klären "kann noch ein bisschen Zeit benötigen".
Die harten Verhandlungen beim Gipfel seien "nichts Neuartiges", verwies Emmanouilidis auf frühere EU-Budgetgipfel. Außerdem müssten die Staats- und Regierungschefs ihren eigenen Bürgern zeigen, dass sie die jeweiligen nationalen Interessen verteidigen, weil in 20 von 27 Mitgliedsstaaten eine parlamentarische Zustimmung zum Aufbaufonds erforderlich sei.
Beim Schlagabtausch zwischen Deutschland und Frankreich auf der einen Seite und den "Sparsamen" auf der anderen sei es aber auch darum gegangen, "wie die künftige Machtbalance in Europa aussehen wird". Der deutsch-französische Vorschlag für den Aufbaufonds habe nämlich Befürchtungen bestärkt, dass die beiden großen EU-Staaten nach dem Brexit die Entwicklung in der EU "diktieren" wollen. Eben dagegen hätten die Sparsamen "ein Zeichen setzen" wollen.
EU-Ratspräsident Charles Michel hat sich nach Einschätzung des Experten "schwer getan". "Es ist der Eindruck entstanden, dass er eher aufseiten gewisser Mitgliedsstaaten ist", sagte Emmanouilidis unter Verweis auf Frankreich. Dennoch habe er "sein Bestes als ehrlicher Makler getan".
Das auf Druck der "Sparsamen Vier" verringerte Volumen der Zuschüsse im Wiederaufbaufonds (390 statt 500 Milliarden Euro) sieht Emmanouilidis noch als ausreichend an, um "eine makroökonomische Wirkung" zu entfalten. Allerdings hänge auch hier noch viel von Details ab, etwa vom Verteilungsschlüssel, damit "das Geld an diejenigen geht, die vorrangig (von der Coronakrise) getroffen" sind. "Das wissen wir noch nicht", sagte Emmanouilidis.
Kein "Hamilton-Moment" für die EU
Der Aufbaufonds sei zwar kein "Hamilton-Moment" für die EU (in Anlehnung an den US-Finanzminister Alexander Hamilton, der Ende des 18. Jahrhunderts die Vergemeinschaftung der Schulden in den USA durchgesetzt hatte), aber trotzdem "etwas, was wir in diesem Maße bisher nicht gesehen haben". Eine Einigung wäre "ein starkes Signal" der Unterstützung nicht nur der Staaten untereinander, sondern auch gegenüber der eigenen Bevölkerung, dass man in der Lage sei, Kompromisse zu finden.