Herr Karas, kann sich Europa ein Scheitern bei diesem Gipfel überhaupt leisten?
OTHMAR KARAS: Ohne Zweifel drängt die Zeit. Wer die Chance auf eine Einigung jetzt verspielt, verspielt die Chance auf einen raschen Wiederaufbau und verschärft die Krise, statt sie entschieden zu bekämpfen.
Die „Sparsamen Vier“ bremsen beim EU-Aufbaufonds. Ist das uneuropäisch?
Die „Sparsamen Vier“ ist ein irreführender Slogan. Ist es wirklich sparsam, wenn man dringend nötige Zukunftsinvestitionen nicht tätigen will? Ich vertraue darauf, dass alle EU-Staats- und Regierungschefs ihre europäische Solidarität und Verantwortung wahrnehmen werden. Aus Österreich gab es ja eindeutige Signale in diese Richtung.
„Eine Schuldenunion wird es mit mir nicht geben“, sagt Kanzler Sebastian Kurz. Was ist so übel daran, sparsam sein zu wollen?
Eine Schuldenunion wird unnötig als Schreckgespenst an die Wand gemalt, eine solche ist und war nie geplant. Wir werden strikt befristet, zweckgebunden und in die Zukunft gerichtet gemeinsam Geld am Kapitalmarkt aufnehmen. Es geht um eine punktuelle Ausnahme wegen der beispiellosen Krise, keine dauerhafte gegenseitige Haftung, die man gemeinhin als Schuldenunion bezeichnet. Kein Mitgliedstaat haftet zudem für die Schulden eines anderen aus der Vergangenheit. Ich bin sehr für Sparsamkeit. Sparsamkeit bedeutet, sich jetzt aus der Krise hinauszuinvestieren. Denn sonst werden Wirtschafts- und Sozialkrise noch weit schlimmer, weit teurer und wir alle müssen am Ende weit mehr dafür bezahlen.
Wird Rechtsstaatlichkeit auch für Viktor Orbán für Zahlungen aus dem EU-Budget gelten?
Es darf niemand EU-Mittel erhalten, der die Rechtsstaatlichkeit und das EU-Recht mit Füßen tritt, das gilt selbstverständlich auch für Herrn Orbán. Die EU muss je nach Umfang der Mängel bei Rechtsstaatlichkeit und Grundwerten Zahlungen aussetzen, beschränken oder kürzen können. Das ist die rote Linie des Europäischen Parlaments.
Interview: Stefan Winkler