Rafal Trzaskowski lächelte viel in diesen letzten Tagen des Wahlkampfes. Und dabei sagte er Sätze, die viel zu schön sind, um wahr werden zu können: „Ich träume von einer Gemeinschaft freiheitsliebender Menschen, die ohne Hass und Verachtung sind. Ich träume von einer Gemeinschaft voller Liebe und Respekt.“ Solidarität, Freiheit und Nächstenliebe, das geht eigentlich immer in Polen. Aber es will nicht recht passen zu der Wirklichkeit des politischen Kampfes, in dem sich Trzaskowski befindet.
Am heutigen Sonntag fordert der linksliberale Oberbürgermeister von Warschau in einer Stichwahl um das Präsidentenamt den rechtsnationalen Amtsinhaber Andrzej Duda heraus. Die erste Runde hat Duda Ende Juni mit 43,5 Prozent gewonnen, weit vor Trzaskowski mit 30,5 Prozent. Aber die Stimmen der ausgeschiedenen Bewerber dürften zum größeren Teil auf Trzaskowski entfallen, und so sagen die Demoskopen für den Sonntag ein Fotofinish voraus. Kann es da reichen, wenn Trzaskowski schöne Sätze sagt?
Zweifel sind erlaubt in einem politisch zutiefst gespaltenen Land, in dem die Menschen seit Jahren an andere Töne gewöhnt sind. Etwa an die Worte von Jaroslaw Kaczynski. Der Chef der rechtsnationalen Regierungspartei PiS, deren Kandidat Duda ist, beschimpft die Opposition schon mal als „schlechteste Sorte von Polen, denen der Landesverrat in den Genen liegt“. Und Duda selbst schloss sich kürzlich der Aussage eines PiS-Politikers an, Homosexuelle seien keine Menschen, sondern „neobolschewistische Ideologen“.
Allerdings gibt es entsprechende Ausfälle auch im Trzaskowski-Lager. Der legendäre Solidarnosc-Kämpfer Adam Michnik etwa empfahl Duda, wegen seiner Weltsicht zum Psychiater zu gehen. Michnik, 73 Jahre alt und noch immer Chefredakteur der linksliberalen „Gazeta Wyborcza“, die er 1989 im Kampf gegen die Kommunisten gründete, sagt, er verteidige die Demokratie. So wie damals. Heute aber stehe der Feind rechts. Duda surfe auf einer „braunen Welle“, während die PiS Propaganda betreibe wie einst NS-Hetzer Goebbels.
Die Lagerbildung treibt irrwitzige Blüten
Michniks Zeitung trommelt seit Wochen für Trzaskowski. Das verschafft dem Herausforderer einen gewissen Kräfteausgleich. Denn die staatlichen Medien, die seit Jahren von der PiS kontrolliert werden, betreiben kaum verhüllte Werbung für Duda. Keine Frage: Die Öffentlichkeit ist so tief gespalten wie die Gesellschaft. Und die Lagerbildung treibt immer irrwitzigere Blüten. So findet das international längst übliche TV-Duell der Kandidaten im polnischen Wahlkampf diesmal nicht statt. Der Grund klingt absurd, doch es ist so: Die Parteien sind derart tief verfeindet, dass sie sich nicht einmal auf ein Duell einigen können, um sich zu bekämpfen.
Dabei verbindet Duda und Trzaskowski persönlich einiges. Beide sind 48 Jahre alt und stammen aus künstlerisch-akademischen Elternhäusern. Trzaskowskis Vater war ein bekannter Jazzkomponist, Dudas Eltern ein Professorenehepaar. Heute ist der Präsident mit der Tochter des Dichters Julian Kornhauser verheiratet und hat eine Tochter. Trzaskowski ist Vater eines Sohnes und einer Tochter. Beide waren EU-Parlamentarier. Wieso also können sie nicht miteinander reden?
Kommt nun die autoritäre Wende?
Am Ende steht wohl zu viel auf dem Spiel. Denn unstrittig ist, dass sich die PiS nach ihrer Regierungsübernahme 2015 darangemacht hat, Polen „von Grund auf zu verändern“. So sagt es Kaczynski selbst. Vordergründig geht es dabei um eine neue Leitkultur, die sich auf Patriotismus und Katholizismus stützt. In Wirklichkeit arbeite die PiS am Aufbau eines autoritären Staates, sagt die Opposition. Ähnlich sieht es die EU-Kommission, die schon vor Jahren ein Rechtsstaatsverfahren eingeleitet hat.
Und genau dieser Streit macht die heutige Wahl so wichtig. Denn das Staatsoberhaupt verfügt in Polen über ein starkes Vetorecht (siehe Infokasten). Trzaskowski aber redet von Liebe und Harmonie. Ist das Strategie? Vielleicht geht es ihm doch um mehr. Trzaskowski, der sich selbst als Büchernarren beschreibt, könnte es ja auch ernst meinen, wenn er seine Landleute auffordert: „Lasst uns eine neue Gemeinschaft schaffen. Gerecht soll sie sein, stark und frei.
unserem Korrespondenten Ulrich Krökel aus Warschau