Herr Minister Schallenberg, Alm oder Adria: Wo werden Sie heuer urlauben?
ALEXANDER SCHALLENBERG: Auf der Alm.
Halten Sie es für unpatriotisch, ans Meer zu fahren?
Darum geht es nicht.
Worum geht es?
Der Punkt ist, dass wir noch mitten in der Krise sind und es heuer sicherer ist, im Sommerurlaub zwischen sich und zu Hause keine Grenzen zu haben.
Wieso stilisiert die Tourismusministerin den Urlaubsort dann zur nationalen Gewissensfrage?
Ich glaube, das ist einfach der Anerkenntnis der momentanen Situation geschuldet. Das Virus geht nicht auf Urlaub. Die WHO vermeldet regelmäßig Negativrekorde und in einigen EU-Staaten entstehen neue Herde, darunter auch Landkreise in Nordrhein-Westfalen, für die wir eine Reisewarnung verhängen mussten. Dieser Sommer ist kein normaler. Man sollte sich sehr gut überlegen, ob man wirklich ins Ausland fahren will.
Kennt sich bei dem Wirrwarr an kompletten und partiellen Reisewarnungen noch wer aus?
Wir haben etwa die weltweite Sicherheitslage auf der Website des Außenministeriums mit einer Karte farblich sehr übersichtlich dargestellt. Partielle Reisewarnungen für bestimmte Regionen der Welt gab es schon immer, es betraf vielleicht nicht unbedingt Tourismusdestinationen. Ich kann nur an alle, die unbedingt ins Ausland fahren wollen oder müssen, appellieren, sich vorher genau zu erkundigen, was sie dort erwartet, und sich zu fragen, wie man sicher und selbstständig wieder nach Hause kommt, wenn es hart auf hart kommt.
Seit ein paar Tagen gibt es eine neue Reisewarnung für den Westbalkan. Riskiert Österreich damit eine Trübung des guten Verhältnisses zu den dortigen Ländern?
Die Entscheidung ist uns wirklich nicht leichtgefallen. Aber sie war notwendig. In Kroatien, Slowenien und teilweise auch bei uns in Österreich haben sich durch Rückkehrende aus diesen Ländern Cluster gebildet, die klar zeigen, dass die Infektionszahlen dort wieder steigen. Ich bin der Erste, der gern etwas anderes verkündet hätte. Weil ich weiß, wie eng wir mit dem Balkan verbunden sind. Dass viele Menschen in Österreich Freunde und Familie dort haben, von denen sie in den vergangenen Monaten getrennt waren. Dass es Liebende gab, die sich nicht in die Arme schließen konnten.
Für Italien haben der Kanzler und Sie in all den Monaten nicht so bewegende Worte gefunden. Haben Sie da ein Empathieleck?
Allein wenn ich daran denke, wie stark Italien als kultureller und als Urlaubsort bei uns präsent ist, ist das gar nicht möglich. Jeder Österreicher weiß, was für einen enormen Grad an Sympathie Italien bei uns genießt. Auch die Kommunikation mit Rom während der Pandemie ist auf vielerlei Ebenen friktionsfrei gelaufen. Am Brenner gab es bis auf die ersten ein, zwei Tage kaum Probleme. Und das ist eine der ganz großen Achsen Europas. Wir haben die Dinge gemeinsam effzient abgewickelt. Das ist ein Zeichen dafür, wie gut es eigentlich zwischen Rom und Wien funktioniert.
Rom fühlte sich schon in der Migrationskrise im Stich gelassen.
Auch wir haben uns 2015/2016 im Stich gelassen gefühlt, als wir jeden Tag Tausende Migranten an der Grenze hatten und die Diskussion in Europa einen ganz anderen Weg einschlug. Das ist also kein Gefühl, dass nur ein Mitgliedstaat exklusiv so empfunden hat. Natürlich sind Schengen-Außengrenzstaaten aus geografischen Gründen ganz anders von Migrantenströmen betroffen als Binnenstaaten. Aber wir sind die Allerersten, die sagen, was es hier braucht. Margaritis Schinas, der Vizepräsident der EUKommission, hat das sehr treffend formuliert: Das Migrationshaus, sagte er, habe drei Stockwerke. Das erste sei die Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern, das zweite der Außengrenzschutz und das dritte die innereuropäische Solidarität. Die dritte Etage wird nie sehr stabil sein, solange der erste und zweite Stock nicht stehen ...
... und Österreich nach italienischer Lesart einen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge ablehnt.
Und das völlig zu Recht! Denn es braucht hier einen gesamtheitlichen Ansatz. Jeder, der eine innereuropäische Quote anstrebt, zäumt das Pferd von hinten auf. Doch wir müssen sehr darauf achten, nicht wieder eine Situation zu kreieren, in der wir den Menschen signalisieren, sie müssten es für das Ticket in die EU nur auf einen europäischen Strand schaffen.
Unterschätzt Österreich in der Beziehung zum südlichen Nachbarn das Klimatische?
Natürlich gibt es Sensibilitäten. Aber meine Wahrnehmung in den letzten Monaten ist eine ganz andere. Das vereinte Europa hatte noch nie eine Pandemie zu überstehen. Doch es hat sich nach einigen Schockmomenten als recht tragfähiges, resilientes Europa der Solidarität und der Nachbarschaft erwiesen. Ich mag deshalb nicht in den Chor derer einstimmen, die klagen, Europa habe in der Krise versagt. Wir haben gerade erst mit unseren mitteleuropäischen Nachbarn Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Slowenien ein neues, sehr lockeres Gesprächsformat gegründet, für das mein slowenischer Kollege die Bezeichnung „The Central Five“ vorgeschlagen hat.
Visegrád, die „Milde Sorte“?
Nein, es gibt auch weiterhin andere Formate. Die Krise hat uns nur vor Augen geführt, wie eng verwoben wir in diesem gemeinsamen historisch gewachsenen zentraleuropäischen Raum sind, wie abhängig voneinander. Das reicht von der Alterspflege über Infrastrukturprojekte und den Krankenhausbetrieb bis zu den Erntehelfern.
Große Teile Oberitaliens gehören auch zu diesem Raum. Wäre es nicht besser, im Streit um die EU-Wiederaufbauhilfen einzulenken?
Es steht außer Frage, dass den Mitgliedstaaten, die besonders vom Virus betroffen sind, geholfen werden muss. Es ist in niemandes Interesse, dass ein Land, insbesondere ein Eurostaat, ins Trudeln kommt. Aber wir reden vom größten Hilfspaket in der Geschichte der europäischen Integration: 750 Milliarden Euro ist der Vorschlag. Darüber zu diskutieren, ist das Normalste der Welt. Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie. Wir werden jedenfalls dazu beitragen, dass ein Kompromiss gefunden werden kann. Dafür müssen aber auch unsere Positionen berücksichtigt werden.
Ist die etwas streberhafte Selbststilisierung zu den „Sparsamen Vier“ dabei sehr hilfreich?
Man könnte das Quartett auch als „Freunde der Steuerzahler“ bezeichnen. Außerdem brauchen wir weniger Emotionalität in der Debatte. Für den EU-Wiederaufbaufonds einen vernünftigen Mix aus Zuschüssen und Krediten zu fordern und gegen die Einführung der Schuldenunion durch die Hintertür zu sein, ist völlig legitim. Die Niederlande, Schweden, Dänemark und Österreich sind deshalb keine schlechten Europäer. Dass man uns das in die Schuhe schieben will, ist absurd!
War es nach den Krawallen in Favoriten wirklich nötig, den Konflikt mit der Türkei mit schroffen Vorwürfen eskalieren zu lassen?
Der österreichische Botschafter in Ankara wurde eingeladen, bevor der türkische Botschafter bei mir war. Tatsache ist, dass unter klar pro-AKP gesinnten türkischen Gemeinden inzwischen eine sehr aggressive nationalistische Stimmungslage herrscht, die es in Wien nie gab. Dass es jetzt auch noch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Kurden kam und ein Teil prokurdischer Demonstranten von außen als Terroristen bezeichnet wurde, hat eine Reaktion dringend notwendig gemacht hat. Wir wollen keinen Import ausländischer Konflikte nach Wien. Dafür werden wir jedes rechtsstaatliche Mittel einsetzen, das notwendig ist. Was keinesfalls geht, ist, dass über Verbände und Einrichtungen versucht wird, junge Menschen, die nicht einmal die politischen Hintergründe kennen, geschweige denn sie erlebt haben, zu instrumentalisieren.
Ist das eine Selbstanzeige für Versäumnisse in der Integration? Das sehe ich nicht so. Denn diese Situation hat es in den letzten Jahren so ja nicht gegeben. Es wurde künstlich ein Konflikt erzeugt. UnserAnsinnen muss es sein, hier die roten Schranken aufzuziehen. Um mit Karl Popper zu sprechen: Wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.