Es hätte ein Tag des Triumphes werden und den Höhepunkt der Macht Wladimir Putins markieren sollen: der Tag des Sieges über Hitlerdeutschland, den Russland jedes Jahr am 9. Mai feiert – und der heuer, zum 75. Jahrestag des Kriegsendes, ganz besonders hätte werden sollen.  Seit Monaten waren die Paraden, bei denen Panzer, Kriegsgerät und Uniformierte stolz über den Roten Platz in Moskau ziehen, vorbereitet worden. Doch Corona schert sich nicht um Planungen des Kreml. Lange dachte man dort, die Virus-Krise würde an Russland vorbeiziehen. Doch dann explodierten die Infektionszahlen, und nach langem Zögern hat Präsident Putin die imposanten Siegesfeiern abgesagt.

Wladimir Putin bei der Parade in Moskau
Wladimir Putin bei der Parade in Moskau © AFP

Am heutigen Mittwoch wird der 9. Mai nun praktisch „nachgeholt“ – die aufwändige Parade auf dem Roten Platz ist zugleich Auftakt für die ebenfalls Corona-bedingte Verschiebung von Putins Herzensprojekt: der Abstimmung über die neue Verfassung. Am Donnerstag soll diese beginnen und dann sieben Tage lang dauern. Mit der Parade will der Kreml für eine patriotische Stimmung vor dem Referendum sorgen. Das Gedenken an den Sieg der Sowjetunion über Hitlerdeutschland ist im heutigen Russland zum zentralen identitätsstiftenden Narrativ geworden.

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Gottesbezug

Die Änderungen des Grundgesetzes sind vielfältig und reichen von der Festschreibung der Ehe zwischen und Mann und Frau, einem Gottesbezug in der Präambel bis hin zur Verankerung einer Index-Anpassung der Pensionen. Im Vorfeld wurden alle diese Punkte reichlich beworben und besprochen – doch der wichtigste Punkt der geplanten Änderungen taucht nur am Rande auf: Mit Eintritt der Verfassungsänderung wird Präsident Putin, nach 20 Jahren an der Macht, eine weitere Verlängerung seiner Amtszeit ermöglicht. Wie das geht? In einer herzergreifenden Szene im Parlament hatte Valentina Tereschkowa, 83 und als erste Frau im Weltall eine Heldin der Sowjetunion, im März die Abgeordneten gebeten, sie mögen doch Putins bisherige Amtszeiten als Präsident – insgesamt vier – einfach streichen. Damit hat er die Möglichkeit, noch 16 Jahre bis 2036 an der Macht zu bleiben. Die Opposition wirft dem Präsidenten einen „Verfassungsumsturz“ vor.

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Autokratie

Festgezurrt wird mit der Abstimmung auch der Vorrang russischer Gesetze vor internationalem Recht. Was das genau bedeutet, ist offen. Zu erwarten ist, dass Moskau beispielsweise die Entscheidungen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR) nicht mehr anerkennen wird und das Völkerrecht nur noch so umsetzt, wie es ihm gefällt. An der Oberfläche wird sich Putin mit der neuen Verfassung damit an russisches Recht halten. In der Realität wird die Autokratie einzementiert.

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Umfrage-Tief

Seit Anfang Juni ist der strikte Lockdown aufgehoben, Tausende zieht es seitdem in Parks, auf die Straßen und in die Cafés. Gute Stimmung haben Russland und vor allem Putin dringend nötig: Seine Umfragewerte haben den niedrigsten Stand seit seinem Amtsantritt vor 20 Jahren erreicht. Denn die Probleme im Jetzt wachsen gewaltig. Als hätte die russische Wirtschaft nicht allein schon durch die Corona-Maßnahmen genug zu kämpfen, leidet die Öl- und Gasnation Russland gewaltig unter dem in den Keller gerasselten Ölpreis. Und Präsident Putin, der seit den Chaos-Jahren in den 90ern für Stabilität und eine Zentralisierung der Macht stand, wirkte in all den Herausforderungen der letzten Wochen seltsam zurückhaltend.

Das Virus besiegt?

Jetzt wird getrommelt, Russland habe das Virus besiegt. Ist die Krise in Zeiten des Referendums plötzlich vorbei? Die Zahlen zeigen etwas anderes. Russland liegt weltweit mit mehr als 580.000 offiziell gemeldeten Infizierten weltweit auf Platz drei. Die Zahl der Neuinfektionen steigt seit Kurzem zwar nicht mehr ganz so stark, beträgt aber immer noch fast 8000 pro Tag. Der Kreml ist offenbar so mächtig, dass er dem Virus eine Auszeit verordnet. Zugleich muss neuerdings jeder, der zu Putin vorgelassen wird, einen speziellen Tunnel passieren und sich mit Desinfektionsmittel besprühen lassen. Für die Militärparade am Mittwoch wird sich so eine Tunnel-Lösung aber nicht so eignen.