Der Erste, der den Abflug machte, war Edward Colston. Genauer gesagt eine Statue des britischen Sklavenhändlers, die seit 1895 in einem Park der englischen Stadt Bristol stand und immer wieder für Kontroversen gesorgt hatte. Vor einer Woche brachten Teilnehmer einer Anti-Rassismus-Demonstration die in ihren Augen mehr alte als ehrwürdige Statue zu Fall und warfen sie unter dem Gejohle der Menge ins Hafenbecken.

Mittlerweile wurde sie aus dem Wasser gezogen und wird wohl nicht mehr im Park aufgestellt; sie soll in ein Museum, mit einer Erläuterung über Taten und Untaten des Mannes, der im 17. Jahrhundert für die Königlich-Afrikanische Gesellschaft gearbeitet hatte, die jährlich rund 5000 Menschen versklavte. Später erwarb Colston sich durch Spenden an Schulen und Krankenhäuser den Ruf eines Philanthropen. So laut der erste Aufschrei wegen des Vandalismus auch war – Innenministerin Priti Patel nannte das Vorgehen der Demonstranten in Bristol „zutiefst schändlich“ – so rasch kam auch eine Diskussion in Gang. Zwei Tage später zeigte selbst Premier Boris Johnson Verständnis für den Volkszorn und stellte fest, der gewaltsame Tod des Afroamerikaners George Floyd in den USA habe ein „unwiderlegbares, nicht zu leugnendes Gefühl der Ungerechtigkeit“ geweckt.

Leitartikel von Ute Baumhackl

Ein Befund, der rund um die Welt seine Bestätigung finden sollte. In den USA selbst machte die Wut nicht einmal vor Entdecker Christoph Kolumbus halt; in Richmond, Virginia, in Boston oder in Saint Paul in Minneapolis landeten Statuen, mal mit, mal ohne Kopf, auf dem Rasen oder im Wasser. Die Ureinwohner Nordamerikas lehnen die Verehrung Kolumbus’ ab, da seine Expedition nach Amerika die Kolonisierung und den Völkermord überhaupt erst ermöglichte. Nancy Pelosi, Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, verlangte inzwischen die Entfernung von elf Denkmälern aus dem Kapitol. In den Südstaaten der USA, wo Afroamerikaner noch bis zum Ende des Bürgerkriegs 1861–1865 versklavt wurden, ordneten die Behörden gleich selbst die Entfernung von Statuen an, die zu Ehren der Konföderation errichtet worden waren. Präsident Donald Trump hatte zuvor empört abgelehnt, US-Militärstützpunkte, die nach Konföderiertenführern benannt sind, umzubenennen.

Während in Großbritannien selbst das Denkmal von Pfadfinder-Gründer Baden-Powell geschützt werden musste, dem rassistische und homophobe Ansichten vorgeworfen wurden und der auf die Idee zu seiner Bewegung kam, nachdem er im Burenkrieg Kinder als Späher und Fährtenleser eingesetzt hatte, entfernten in Antwerpen (Belgien) die Behörden selbst eine Statue von König Leopold II.

Verunstaltet: Denkmal Leopolds II in Antwerpen
Verunstaltet: Denkmal Leopolds II in Antwerpen © AFP

Und in Hamilton, Neuseeland, steht man vor einem besonderen Problem: Die Stadt ist nach einem Marinekommandanten benannt, der gegen die Maori kämpfte – die nichts anderes taten, als ihr Land gegen die britischen Kolonialherren zu verteidigen. Das Denkmal Hamiltons, erst 2013 errichtet, wurde auf Antrag des örtlichen Maori-Stammes entfernt; nun überlegt man eine Umbenennung der Stadt zu ihrem ursprünglichen Namen: Kirikiriroa.

Interview zum Thema:

"Stürzen verdrängt das Problem"

Helmut Konrad
Helmut Konrad © Juergen Fuchs

Historiker Helmut Konrad plädiert dafür, umstrittene historische Personen in einem Zusammenhang zu erklären:

Die Proteste gegen Rassismus richten sich nun auch gegen historische Persönlichkeiten und deren Denkmäler. Wie erklärt das der Historiker?

Helmut Konrad: Die Geschichte kennt jede Menge an Denkmal- und Bilderstürmen. Das hat eine lange Tradition. Es sind historische Vorgänge. Jede Herrschaft versuchte, sich in Stein zu meißeln. Früher holten dann Herrscher ihre Vorgänger vom Sockel. Erinnern wir uns aber auch an Bilder aus der jüngeren Zeitgeschichte, die um die Welt gingen: als nach dem Sturz von Iraks Diktator Saddam Hussein auch seine Standbilder gestürzt wurden. Oder schauen wir in die Ukraine, wo 500 Lenin-Statuen abgebaut wurden.

Bringen Sie Verständnis für den Denkmalsturm auf?

Es ist eine überzogene Reaktion. Denkmäler zu beseitigen, ist noch keine Bewältigung der Vergangenheit, sondern nur ein Wegschieben, ein Verdrängen.

In die Ziehung gerät nun auch Großbritanniens Kriegspremier Winston Churchill. Die späte Entlarvung eines Rassisten?

Es trifft ja auch Christoph Kolumbus, der selbstverständlich einen ganz wesentlichen Beitrag zur Fastausrottung der indigenen Bevölkerung Amerikas leistete. Aber es trifft Persönlichkeiten, die auch Verdienste haben. Wenn man Churchill stürzt, löscht man auch die Erinnerung an einen Mann, der wesentlichen Anteil an der Beseitigung des nationalsozialistischen Regimes und Adolf Hitlers hatte. Nein, Denkmäler stürzen ist eine Verdrängung von Problemen.

Ihr Lösungsansatz?

Es geht darum, diese Personen in einen größeren geschichtlichen Zusammenhang zu bringen, die Denkweisen aus der Zeit, in der sie lebten, zu verstehen und durchaus mit der Kritik späterer Generationen zu verbinden.

Braucht man Denkmäler?

Denkmäler sind Kulturgüter, jede Zeit schreibt damit ihre Errungenschaften fest. Denkmäler sind daher unvermeidlich, aber auch die Kritik späterer Generationen. Erst aus diesen Widersprüchen entsteht ein historisches Gesamtbild.

Interview: Christan Weniger