Griechenland wurde ein Jahrzehnt lang von der Finanzkrise gebeutelt. Eine enorme Arbeitslosigkeit und ein marodes Gesundheitssystem waren die Folge. Das Land wurde das Image nicht los, ein schlechtes Krisenmanagement zu haben.
Jetzt erfindet sich Griechenland neu: „Das Land hat in der Coronakrise ein hervorragendes Krisenmanagement“, sagt Autor Petros Markaris im Interview. Am vierten Mai lockert Griechenland nach sieben Wochen die Ausgangssperren. Friseure und Co. dürfen aufmachen, die Gaststätten allerdings noch nicht.
Griechenland weist mit aktuell 143 Toten eine der niedrigsten Corona-Sterberaten in Europa auf: Ist Griechenland nun ein Vorzeigestaat oder wurden die Zahlen frisiert, wie manche Skeptiker sagen?
Petros Markaris: Die Zahlen sind nicht frisiert! Griechenland hat in der Coronakrise ein hervorragendes Krisenmanagement. Zum ersten Mal nach wirklich langer Zeit kann ich mit großer Genugtuung sagen, dass sowohl die Regierung als auch die Bevölkerung außerordentlich gut auf die Krise reagiert. Ich bin ganz erstaunt über meine Griechen!
Was erstaunt Sie?
Markaris: Einerseits, dass die Regierung Mitsotakis bisher wirklich alles richtig gemacht hat. Die Ausgangssperren werden heute nach sieben Wochen erstmals gelockert, die niedrige Zahl an Infizierten und Toten gibt den Maßnahmen der Regierung also recht. Andererseits erstaunt mich auch die griechische Bevölkerung, die sich unglaublich diszipliniert und vernünftig verhält, zu Hause bleibt und Sicherheitsvorkehrungen trifft. Manchmal denke ich, dass ich träume. Aber nein: Es ist die Wirklichkeit.
Werden die in Odysseen erprobten Griechen mit jeder Krise besser? Die Finanzkrise hatte das Land ja zehn Jahre im Griff.
Markaris: Offenbar. Die Menschen hier sind vorausschauender und vernünftiger geworden. Der Unterschied ist, dass die Griechen während der Finanzkrise auf ihre Politiker geschimpft haben. Heute ist das nicht so. Und wenn die Griechen sehen, dass die Politiker alles richtig machen, dann sind sie auch überzeugt und ziehen mit.
Premier Kyriakos Mitsotakis sagte zuletzt: „Gegen das Virus hat sich hier ein gut organisierter Staat aufgestellt.“ Stimmt das?
Markaris: Ja, das ist so. Nach der Finanzkrise lag das ganze Gesundheitssystem Griechenlands in Scherben. Als die Coronakrise ausbrach, befürchtete ich das Schlimmste. Aber ich muss sagen, dass auch das Gesundheitssystem angesprungen ist und das medizinische Personal großartige Arbeit leistet.
Stimmt es, dass viele Straßen Athens zu Beginn der Coronakrise mit Hochdruckreinigern desinfiziert wurden?
Markaris: Ja, das hat man tatsächlich gemacht.
Ein Name, der für den erfolgreichen Kampf Griechenlands steht, ist der Virologe Sotiris Tsiodras in Mitsotakis Team. Ist er wirklich so gut?
Markaris: Ja, er ist sehr seriös und man vertraut ihm, weil er nichts beschönigt, sondern Klartext redet. Jeden Tag um 18 Uhr, außer am Sonntag, informiert er zusammen mit dem Vizeminister für öffentliche Ordnung die Bevölkerung im griechischen Fernsehen.
Wie schätzen Sie die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise ein? Der Tourismus macht ja ein Fünftel der griechischen Wirtschaftsleistung aus.
Markaris: Das wird noch ein großes Problem. Hoteliers und Tourismusexperten hoffen darauf, dass es Mitte Juli besser wird, und dass es mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen im August vielleicht doch so etwas wie eine Hochsaison geben kann. Ich würde gerne mit dem Optimismus Schritt halten, aber ich fürchte, das schaffe ich nicht. Denn ich halte es derzeit eher für eine normale Reaktion, zu Hause Urlaub zu machen.
Wie kommen Sie persönlich durch die Corona-Misere?
Markaris: Tagsüber ist es nicht anders, als sonst. Ich sitze am Schreibtisch und arbeite, schreibe an einem neuen Roman und an einem Erzählband. Einkaufen muss ich nicht gehen, meine Tochter, die nur ein paar Straßen weiter wohnt, versorgt mich bestens. Am Abend ist es unangenehm, nach sieben Wochen Ausgangssperre kann man da schon depressiv werden. Aber ab jetzt wird es ja ein wenig leichter. Mir fehlen die guten Gespräche mit Freunden bei einem Glas Wein. Stattdessen gibt es permanentes Gerede über Corona im Fernsehen.
Und das verstimmt Sie?
Markaris: Ja, weil das Meiste pessimistisch ist. Die Corona-Situation erinnert mich an einen Spaghetti-Western von Sergio Leone, „The good, the bad and the ugly“. Da gibt es eine Szene mit Eli Wallach, wie er in einer Badewanne sitzt: Ein Cowboy stürmt ins Zimmer, zielt mit seiner Waffe auf Wallach, schießt aber nicht, sondern redet und redet und will gar nicht mehr aufhören. Irgendwann zieht Eli Wallach zwei Pistolen aus dem Wasser und erschießt den Cowboy. Wallachs Kommentar: „Schießen, nicht reden.“
Was tun, wenn niemand weiß, was der nächste Tag bringt?
Markaris: Sie kennen mich ja, ich bin ein sehr zurückhaltender, abwartender Mensch. Ich schaue mir an, wie sich alles entwickelt, und wenn ich sehe, wie es läuft, entscheide ich mich für einen Weg. Daran ändert sich auch in Coronazeiten nichts.