Der britische Premierminister Boris Johnson will nach überstandener Covid-19-Erkrankung die Amtsgeschäfte wieder aufnehmen. Der 55-Jährige werde am Montag in den Regierungssitz Downing Street zurückkehren, sagte eine Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur. Johnson hatte sich in den vergangenen zweieinhalb Wochen auf dem offiziellen Landsitz Chequers nahe London von der Lungenkrankheit erholt.
Zuvor musste er nach der Infektion mit dem Coronavirus eine Woche im Krankenhaus verbringen, drei Tage sogar auf der Intensivstation. Vertreten wurde er von Außenminister Dominic Raab.
Schwere Kritik
Die konservative Regierung steht wegen ihrer Reaktion auf die Pandemie schwer in der Kritik. Ihr wird vorgeworfen, viel zu lange mit den Maßnahmen zur Eindämmung gewartet zu haben. Zudem fehlt es an Schutzkleidung für das medizinische Personal. Auch vom Ziel, bis Ende April jeden Tag 100.000 Menschen zu testen, sind die Behörden noch weit entfernt.
Experten gehen inzwischen davon aus, dass das Land den Höhepunkt der Pandemie überschritten hat. Doch die täglich neu registrierten Sterbefälle sind noch immer erschreckend hoch. Bis Freitagabend wurden erneut 813 verzeichnet. Am Samstag überstieg die Gesamtzahl der Toten die offizielle Marke von 20.000. Berechnungen der "Financial Times" zufolge könnte die tatsächliche Zahl aber mehr als das Doppelte betragen.
Mehr Tote als in Italien und Spanien?
Der wissenschaftliche Chefberater der Regierung, Patrick Vallance, hatte vor einem guten Monat noch die Hoffnung geäußert, Großbritannien könne die Zahl der Toten auf unter 20.000 Toten begrenzen. Jetzt wird befürchtet, das Land könne selbst Italien und Spanien bei den Opferzahlen übertreffen.
Trotz allem werden die Rufe nach einer Lockerung der Maßnahmen wegen der Schäden für die Wirtschaft immer lauter. Der neue Labour-Chef Keir Starmer forderte die Regierung auf, eine Exit-Strategie vorzulegen und eine Debatte in der Öffentlichkeit darüber zu führen. Die Bürger müssten wie Erwachsene behandelt werden, so der Oppositionschef.
Auch der ehemalige konservative Finanzminister Philip Hammond forderte die Regierung auf, einen Plan vorzulegen, wie die Wirtschaft wieder zum Laufen gebracht werden kann. Innenministerin Priti Patel schloss eine rasche Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen am Samstag jedoch aus. Erwartet wird, dass sich Johnson nach seiner Rückkehr in die Downing Street am Montag dazu äußern wird.
Neben der Coronakrise fürchten britische Unternehmen auch die Folgen eines Scheiterns der Gespräche über ein Anschlussabkommen für die Zeit nach dem Ende der Brexit-Übergangsphase. Großbritannien profitiert noch bis Ende dieses Jahres von seiner Mitgliedschaft in Binnenmarkt und Zollunion. Doch die Verhandlungen kommen bisher kaum voran. Eine noch bis Ende Juni offene Verlängerungsoption lehnt London bisher kategorisch ab. Damit drohen zum Jahreswechsel erhebliche Handelshemmnisse am Ärmelkanal.
Experten beeinflusst?
Im Fokus der Kritik an der Regierung stand am Samstag der wichtigste politische Berater des Premierministers, Dominic Cummings. Der "Guardian" berichtete unter Berufung auf eine ihm zugespielte Teilnehmerliste, dass Cummings an mehreren Sitzungen des Experten-Gremiums SAGE (Scientific Advisory Group for Emergencies) teilgenommen hatte. Die Expertengruppe, deren Zusammensetzung aus Sicherheitsgründen geheim gehalten wird, berät die Regierung in der Coronavirus-Pandemie.
Cummings wird hinter dem Schlingerkurs der Regierung in der Bekämpfung des Ausbruchs vermutet. Kritiker befürchten, der einflussreiche Berater könne die Unabhängigkeit der Experten beeinträchtigt haben und forderten die Herausgabe der Protokolle. Ein Regierungssprecher bestätigte später, dass Cummings bei mehreren SAGE-Sitzungen dabei war oder sich per Telefonkonferenz zugeschaltet hatte. Der Johnson-Berater habe die Entscheidungen des Gremiums nicht beeinflusst.