Versammlungsverbote, Kontaktsperren, keine Familienbesuche – Corona macht auch vor dem religiösen Leben nicht Halt. Zunächst traf es das jüdische Pessach-Fest und das christliche Ostern – diese Woche nun den Ramadan, einen Eckstein des islamischen Festkalenders, der mit dem dreitägigen Zuckerfest endet. Heute Abend und morgen (je nach Ramadankalender) beginnen die dreißig Tage, an denen in normalen Zeiten 1,5 Milliarden Muslime rund um den Globus tagsüber fasten und dafür nachts umso ausgelassener schmausen, feiern und beten.

In Corona-Zeiten ist nun alles anders. In den islamischen Staaten des Nahen Ostens herrschen strikte nächtliche Ausgangssperren. Und so zerbrechen sich Gläubige und Gelehrte gleichermaßen die Köpfe, was 2020 von dem weltweiten Gemeinschaftsgefühl ihres geliebten, heiligen Monats noch übrigbleiben wird. In den Zeitungen erscheinen allerlei Ratgeber wie Koranlesen gegen Einsamkeit oder gegen Überdosen an Twitter und Instagram.

Traurig


Die WHO erließ sogar spezielle Richtlinien und empfahl virtuelle Gebetstreffen. „Ich kann es nicht fassen, in diesem Ramadan werden wir nicht zum Fastenbrechen zu anderen Familien nach Hause gehen. Es ist so traurig“, twitterte eine junge Muslima. „Die Sicherheit der Nation erzwingt diese Einschränkungen“, erklärte Tunesiens Regierungschef Elyes Fakhfakh.

Wie 30 Tage Weihnachten

Ganz anders war das vor der Corona-Krise, als der Ramadan jedes Jahr rund um den Globus die Nacht zum Tag machte. Die muslimischen Völker lebten im kollektiven Wechsel aus schläfrigem Tagestrott und nächtlichem Trubel. An Vormittagen arbeiteten Behörden, Banken und Betriebe mit halber Kraft. Die Nachmittage gingen drauf mit Einkaufen und stundenlangem Kochen. Kein Wunder, dass sich der Konsum an Nahrungsmitteln in der Arabischen Welt jedes Mal verdoppelte. Ramadan ist wie dreißig Tage Weihnachten, sagen Muslime, wenn sie Christen die Lebensfreude dieser vier Ausnahmewochen beschreiben wollen.

Fastenbrechen

Das abendliche Fastenbrechen ist der emotionale Höhepunkt jedes Tages. Alle starten gemeinsam mit dem Essen – Familien, Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen – wenn von den Minaretten der Ruf zum Sonnenuntergang ertönt. Anschließend tummeln sich Arm und Reich bis weit nach Mitternacht auf den Straßen, in Konzerten und Kinos, Teehäusern und Cafés, Bazars und Shopping Malls. Zuhause im Fernsehen laufen die populären, speziell für diese Ausnahmezeit produzierten Ramadan-Soaps.

TV-Serie

Ägypten strahlt diesmal die erste nahöstliche Science-Fiction-Serie aus mit dem Titel „Das Ende“, in der im Jahr 2120 ein gut aussehender Ingenieur gegen ein außerirdisches High-Tech-Imperium kämpft. Diese Fernsehabende werden unter dem Corona-Albtraum diesmal wohl besonders ausufern. Restaurants und Geschäfte sind zu, die Moscheen geschlossen. Im schiitischen Gottesstaat Iran appellierte Revolutionsführer Ali Khamenei an seine Landsleute, den erzwungenen Stillstand zu Gebet und Zusammensein mit der Familie zu nutzen.

Die gleiche Lähmung herrscht auch am gegenüberliegenden Ufer des Persischen Golfes, in dem sunnitischen Gottesstaat Saudi-Arabien. Erstmals in der modernen Geschichte des Königreiches sind die beiden wichtigsten Gotteshäuser des Islam, die Al-Haram-Moschee in Mekka und die Prophetenmoschee in Medina, menschenleer.

Selbst eine Absage des Hadsch Ende Juli wird immer wahrscheinlicher. Noch im vergangenen Jahr besuchten allein während des Ramadans sieben Millionen Gläubige die heiligen Stätten in der Heimat des Propheten Mohammed. „Unsere Herzen weinen“, zitierte AFP Ali Ahmed Mulla, seit 31 Jahren der Muezzin der Al-Haram-Moschee in Mekka. „Wir sind gewohnt, die heilige Moschee Tag und Nacht und immer voll mit Menschen zu sehen – ich fühle Schmerz tief in meinem Inneren.“