Manchmal blitzt er noch auf, der schelmische Markus Söder von früher. „Die einzigen Werte, die mich interessieren, sind neue Infektionszahlen“, sagt er über seine guten Umfragewerte. Ganz kurz bleibt unklar, ob hier der alte politische Spieler in Söder spricht oder der neue staatstragende Krisenmanager. 94 Prozent Zustimmung erfährt Söder in Bayern für seine harte Linie in der Corona-Krise. Sein Krisenhandling bringt ihn sogar als Kanzlerkandidat der Union für die Wahl 2021 ins Spiel. Doch Söder bleibt Söder. Er sagt nur: „Ich bewerte im Moment keine Haltungs- und Stilfragen.“
Im bayerischen Landtag ist die Rollenverteilung klar, Söder gibt hier den Staatsmann. „Wir haben Bayern vor dem Schlimmsten bewahrt. Ohne unser Handeln wäre Bayern von Corona überfahren worden“, sagt der Ministerpräsident. Das soll auch so bleiben. „Deswegen werden wir ab nächster Woche eine Mund-Nase-Schutzverpflichtung anstellen“, kündigt er an. Mundschutz ist jetzt es erste Bürgerpflicht. Zumindest in Bayern. Selbst das Münchner Oktoberfest wird heuer abgesagt. Das Risiko sei "schlicht und einfach zu groß", begründet Söder am Dienstag die Maßnahme. Im Freistaat herrschen neue Zeiten.
Vorbild Österreich
Kein Bundesland geht in der Corona-Krise rigider vor. „Eins zu Eins“ habe er sich in seine strikte Linie an Österreichs Kanzler Sebastian Kurz orientiert, erklärt Söder, 53. Seit zwei Jahren ist er Regierungschef in Bayern, seit gut einem Jahr CSU-Vorsitzender. Lange währte der Machtkampf mit Vorgänger Horst Seehofer, der ihn der „Schmutzeleien“ zieh. Eine erfolgreiche Landtags- und Kommunalwahl später in Bayern ist das vergessen. Star-Trek-Fan Söder posiert nicht mehr vor spacigen Plakaten mit der Aufschrift „Bavaria One“. Captain Future hat umgeschult auf Krisenmanager. Als solcher sagt Söder jetzt Sätze wie: „Die Strategie war richtig: Rechtzeitig, frühzeitig zu handeln und konsequent zu bleiben. Deswegen ist es wichtig, dass wir diesen Weg fortsetzen.“
Shrek und Zauberer Gandalf
Söder, Vater von vier Kindern, hat seinen Weg stets geradlinig fortgesetzt. Aufgewachsen in Nürnberg, Jura-Studium mit Promotion, JU-Vorsitz in Bayern, Volontariat beim Bayerischen Rundfunk. Passt schon. Mit 27 kommt Söder 1994 in den Münchner Landtag, mit 36 macht ihn sein Förderer Edmund Stoiber 2003 zum Generalsekretär der CSU. Im Fasching taucht er mal als Comicfigur Shrek, mal als Zauberer Gandalf, mal – seine Ambitionen andeutend – als Prinzregent Luitpold auf. Das ist vorbei. Anders als der britische Premier Boris Johnson hat Söder im Amt das unseriös Zockerhafte des Aufsteigers abgelegt. Söder macht jetzt auf Staatsmann. Selbst sein fränkischer Dialekt klingt nun dezenter. Höchstens der Mundschutz gerät mal bayerisch blau-weiß mit Raute. Mehr Spielerei duldet die Krise nicht.
Das zeigte sich auch in der Vorwoche. Bund und Länder beraten per Video über eine Exit-Strategie. Doch Söder ist nach Berlin gereist. Auf der Pressekonferenz im Kanzleramt sitzt er neben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD). Er ist hier nicht als CSU-Chef geladen, sondern als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz. Söder ist angekommen im politischen Krisentriumvirat der Republik. Er nutzt die Bühne und definiert in Zeiten von Corona den alten konservativen Wettstreit zwischen Sicherheit und Freiheit neu. „Solange es keine Medikamente gibt, solange müssen wir einen Weg finden, mit Corona zu leben. In Form von so viel Sicherheit wie möglich, aber auch mit den Möglichkeiten, den Menschen wieder Freiheit zu geben.“ Das neue konservative Credo Unversehrtheit entscheidet sich jetzt in der Gesundheitspolitik.
Unterstützung von der Kanzlerin
Corona hat Bayern im Februar als erstes deutsches Bundesland getroffen. Beim mit China vernetzten Autozulieferer Webasto treten die ersten Infektionen auf. Söder setzt auf Quarantäne und die harte, Wiener Linie: Schulschließungen und Ausgangsperren. Nicht alle erfreut sein Vorpreschen beim Lockdown. Nun bremst Söder beim Exit, er weiß die Kanzlerin an seiner Seite. Merkel rügt die „Ausstiegsdiskussionsorgien“ im Land. Söder revanchiert sich. „Stahlharte Nerven“ zeige die Kanzlerin. Lob aus der CSU für Merkel. Es herrschen Ausnahmezeiten in Deutschland.
Längst geht es um mehr als die richtige Exit-Strategie. Vor allem Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet dringt auf einen raschen Ausstieg. Der Mann will CDU-Chef werden - und Kanzlerkandidat. Doch der für Ende April geplante Parteitag ist auf unbestimmte Zeit vertagt. Laschet drängelt, Söder kann warten. Zeit ist bei Pandemien der wichtigste Verbündete. „Langsamer bringt mehr Erfolg als hektisch und überstürzt, auch für die Wirtschaft“, sagt Söder.
Krisen sind Stunden der Exekutive, lautet eine politische Regel. Auf knapp unter vierzig Prozent ist die Union in Umfragen im Bund gestiegen. Krisen setzen aber auch nicht alle Gesetze außer Kraft. „Die Frage, wie es im nächsten Jahr weitergeht, spielt keine Rolle für mich. Mein Platz ist Bayern“, beharrt Söder. Außerhalb des Freistaats haben es CSU-Politiker in Deutschland schwer. Söder weiß das: In seinem Jugendzimmer hing einst ein Plakat von Franz Josef Strauß. Der CSU-Übervater scheiterte 1980 auf dem Weg ins Kanzleramt an Helmut Schmidt, übrigens krisenbewährt in der Sturmflut von 1962.
Lange her. Die Zeiten ändern sich. „Wir müssen lernen, mit der Pandemie zu leben“, sagt Söder. Kein Zweifel, hier spricht der Staatsmann. Söder ist jetzt ernst zu nehmen.