Es wirkt schon bizarr: Während die Infektionszahlen rasant steigen und die ganze Welt versucht, das Coronavirus in den Griff zu bekommen, tut Brasiliens Präsident weiter so, als seien er und sein Land unverwundbar. Und protestiert nun auch noch gegen die Isolationsmaßnahmen: Von der Ladefläche eines Kleinlasters aus wetterte er gegen die Corona-Schutzmaßnahmen, die die Gouverneure der Bundesstaaten ergriffen haben, um die Ausbreitung einzudämmen.

„Ihr müsst für Eurer Land kämpfen“, rief Bolsonaro  den rund 600 Demonstrierenden zu, die sich vor dem Hauptquartier der Armee in der Hauptstadt Brasilia versammelt hatten. Er werde sich für "Demokratie und Freiheit" einsetzen, versprach der Präsident - während gleichzeitig seine Anhänger eine Militärintervention gegen die Gouverneure fordern. Immer wieder musste Bolsonaro seine Rede wegen Hustenanfällen unterbrechen.  Seinen Aussagen zufolge wurde er negativ auf das Virus getestet - einen öffentlichen Nachweis dafür gibt es nicht.

Bolsonaro spielt das Virus als "Grippchen" herunter und ist gegen jegliche Isolationsmaßnahmen. Und das, obwohl Brasilien das von der Pandemie am stärksten betroffene Land Lateinamerikas ist. 38.654 Ansteckungsfälle und 2.462 Todesopfer wurden bisher verzeichnet. In einigen Bundesstaaten sind schon jetzt die Betten in den Intensivstationen knapp.

Brasilien ist, ähnlich den USA, durch die Verfassung stark föderal strukturiert; die Bundesstaaten und auch Gemeinden verfügen in Alltagsfragen wie der Gesundheit über beträchtliche Entscheidungsmacht - die sie angesichts des zögerlichen Kurses des Präsidenten auch nutzen. Dennoch hält es der Präsident jetzt offenbar, ähnlich wie sein Kollege Donald Trump in den USA, für opportun, durch Straßenproteste deren Kompetenz in Frage zu stellen. Genau genommen ist es der Präsident selbst, der mit dem Aufruf, einzelne Dekrete der Gouverneure zu missachten, die demokratische Ordnung in Frage stellt.

Gesundheitsminister entlassen

Am Donnerstag traf Bolsonaro eine höchst umstrittene Entscheidung: Der Präsident entließ den beliebten Gesundheitsminister des Landes, einen Arzt namens Luiz Henrique Mandetta, der selbst für Ausgangsbeschränkungen plädierte und Bolsoaro immer wieder offen widersprach. In vielen Stadtvierteln großer Städte traten Brasilianer an die Fenster und schlugen auf Töpfe und Pfannen, ein traditionelles Protestmittel, das sich diesmal gegen den Mandetta-Rauswurf richtete. Ihr Unmut über den irrwitzigen Corona-Kurs des Präsidenten war offenbar groß. Große Sorge herrscht auch um die indigenen Völker im Amazonasgebiet, unter denen sich das Virus zunehmend ausbreitet.

Wähler-Stimmen

Dennoch: Auch wenn Bolsonaros Auftreten ziemlich eigenartig wirkt, folgt es zumindest aus seiner Sicht einer inneren Logik. Denn Social Distancing und die Ausgangsbeschränkungen mögen sich für Menschen, die über eine passable Wohnung verfügen, umsetzen lassen. In den dicht besiedelten Favelas, den Armutsgebieten der großen Städte, wo verheerende hygienische Zustände herrschen, bedeutet das "Zu-Hause-Bleiben" eine enorme Belastung. Zugleich befürchten Experten eine Katastrophe, sollte sich das Virus weiter in den Armenvierteln ausbreiten.

Doch viele Taglöhner, die von der Hand in den Mund leben, verlieren derzeit jegliches Einkommen, und nicht jeder vertraut auf die vom Staat zugesagten Lebensmittelhilfen. Bolsonaro verkauft sich mit seiner Polemik gegen die Maßnahmen nun als vermeintlicher Retter der Armen - und arbeitet damit an seinem Machterhalt.

Schade nur, dass das Virus darauf keine Rücksicht nehmen wird.