Weißer Rauch stieg aus dem Kamin auf dem Dach der Sixtinischen Kapelle. Wenig später präsentierte sich der neue Papst erstmals den Gläubigen auf dem Petersplatz. Am 19. April 2005 hatte das Konklave Joseph Kardinal Ratzinger zum Papst gewählt. Der Stellvertreter Christi auf Erden stammte nicht nur aus Bayern. Der 78-Jährige war die damals zweifellos einflussreichste Figur in der katholischen Kirche. Präfekt der Glaubenskongregation seit 1981 und damit oberster Hüter des Dogmas der katholischen Kirche, Star-Theologe mit erster Professur im Alter von nur 31 Jahren, engster Mitarbeiter des nur zwei Wochen zuvor verstorbenen Papstes Johannes Paul II. Ein katholischer Tausendsassa.

"Panzerkardinal"

Auch wenn hinter den Kulissen heftige Grabenkämpfe gefochten wurden mit dem Ziel, die Wahl des Hardliners aus Marktl am Inn zu verhindern und damals schon einen gewissen Jorge Bergoglio als Gegenkandidaten ins Spiel zu bringen, führte in der katholischen Kirche kein Weg an Ratzinger vorbei. Der Kardinal aus Bayern war damals das Hirn der Kirche, ihr Herz wohl eher nicht. Als „Panzerkardinal“ bezeichnete ihn die Presse, Reformtheologen schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Zunächst aber kam der Honeymoon. „Wir sind Papst!“ titelte die Bild-Zeitung. Dass ein Deutscher (nur 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs) nun sogar die katholische Kirche führten durfte, schmeichelte sogar Atheisten im Land.

Statt einen knallharten Dogmatiker bekam die Öffentlichkeit aber einen fast scheuen Prälaten zu sehen, der sich in seinen ersten Worten selbst als „einfachen und bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn“ vorstellte. Für das Forbes-Magazin war Benedikt XVI. im Dezember 2012 noch eine der mächtigsten Persönlichkeiten der Welt – da hatte er bereits über seinen Rücktritt entschieden. Joseph Ratzinger hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass das Papstamt eine ungeheuerliche Herausforderung für einen Menschen darstellt. Sein Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen 2013 war nur die logische Konsequenz. Puristen verziehen ihm das nie. Seine Kräfte im vorgerückten Alter würden nicht mehr ausreichen.

Für das Amtsende wegen Depression hatte Benedikt genügend Gründe: Der Papst war umgeben von einer in Teilen korrupten Kurie, deren Machenschaften aus dem Ruder liefen. Enge Mitarbeiter bekämpften sich gegenseitig. Die Vatileaks-Affären um die Veröffentlichung privater Papst-Dokumente war so ein Kleinkrieg. In der Williamson-Affäre hatten Benedikts Mitarbeiter übersehen, dass unter den rehabilitierten Bischöfen der traditionalistischen Piusbruderschaft sich auch ein Holocaust-Leugner befand. 2006 folgte die Deutschlandreise mit der Rede an der Universität Regensburg, nach der Vertreter des radikalen Islam ein Zitat zum Anlass für Randale nahmen. Benedikt XVI. musste man genau zuhören, aber das war eben nicht immer leicht und oft auch nicht gewünscht.

Dann schlug der Blitz ein

Dann schlug ein Blitz auf der Kuppel des Petersdoms ein, kurz nachdem Benedikt XVI. am 11. Februar 2013 seinen Rücktritt angekündigt hatte. Der emeritierte Papst versprach fortan „vor der Welt verborgen“ zu bleiben und sich in das Vatikan-Kloster Mater Ecclesiae zurück zu ziehen. Der Chefdogmatiker hat seiner Kirche damit ein dogmatisches Problem eingebrockt: Wie können zwei Päpste nebeneinander koexistieren, wo es doch nur einen Stellvertreter Christi auf Erden geben kann?
Am vergangenen Donnerstag beging Joseph Ratzinger seinen 93. Geburtstag. Wegen der Corona-Epidemie blieb die Wohngemeinschaft mit Sekretär Georg Gänswein und den Laienschwestern diesmal unter sich, nicht einmal Ratzingers Bruder Georg kam wie sonst zu Besuch. Auch den heutigen Jahrestag der Papstwahl wird Benedikt XVI. in aller Abgeschiedenheit begehen.