In der Corona-Pandemie wird es einsam um Dr. Tedros. Zuerst musste der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation die meisten Mitarbeiter seines Genfer Hauptquartiers ins Homeoffice schicken. Lockdown. Tedros Adhanom Ghebreyesus hält seit Mitte März als einer der wenigen Funktionäre die Stellung. Dann musste sich der 55-Jährige immer lautere Kritik an seinem Kampf gegen die Corona-Krise gefallen lassen. Der frühere Gesundheitsminister und Ex-Außenminister Äthiopiens erhält rassistische Beleidigungen, Morddrohungen. „Das ist mir egal“, beteuert er.

Jetzt muss sich Tedros einem mächtigen Gegner stellen, der die gesamte WHO zum schlechtesten Zeitpunkt in eine tiefe Krise stürzt: US-Präsident Donald Trump, der selbst die Corona-Krise lange sträflich herunterspielte. Die WHO habe sich im Kampf gegen das Virus „schweres Missmanagement“ erlaubt. Sie habe als Komplize des Ursprungslandes Chinas sogar „die Ausbreitung des Corona-Virus“ vertuscht, behauptet Trump.

Er kündigte an, die US-Beiträge an die WHO einzufrieren.
Das ist ein harter Schlag für die oberste Gesundheitswächterin der Vereinten Nationen. Denn die US-Amerikaner zahlen von allen 194 Mitgliedsländern die größten Beiträge an die WHO. Nach Angaben Trumps überweist Washington pro Jahr zwischen 400 und 500 Millionen US-Dollar. Der Zweijahreshaushalt der WHO 2020 und 2021 beläuft sich auf rund 4,8 Milliarden US-Dollar.

"Egoistisch"

Entsprechend heftig fiel die Kritik an Trumps Entscheidung aus: Es gebe keinen Grund, der diesen Schritt zu einem Zeitpunkt rechtfertige, wo die Bemühungen der WHO nötiger seien denn je, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. „Das ist der Ausdruck eines äußerst egoistischen Herangehens der amerikanischen Regierung gegenüber dem, was in der Welt im Zusammenhang mit der Pandemie geschieht“, hieß es aus Moskau. Tatsächlich hatte die Weltgesundheitsorganisation schon am 30. Jänner den allgemeinen Gesundheitsnotstand ausgerufen – Trump verkündete noch den ganzen Februar über, die USA seien vor dem Virus geschützt, dieses werde sich ohnehin von selber auflösen. Dass hier jemand versucht, angesichts der katastrophalen Corona-Situation in den USA sein eigenes Versagen jemand anderem in die Schuhe zu schieben, ist offensichtlich. Immerhin stehen im November Wahlen an; zudem hatten Trumps Aussagen, er sei als Präsident „allmächtig“, gerade für einiges Kopfschütteln gesorgt.

Bill Gates spendet

„WHO-Chef Tedros wird gezwungen sein, andere Geldgeber zu finden“, betont Gian Luca Burci, Völkerrechtsprofessor in Genf und Ex-Chefjurist der WHO gegenüber der „Kleinen Zeitung“. „Gerade in der Pandemie braucht sie das Geld.“ Immerhin gab es nach dem Frontalangriff aus Washington schnell rhetorischen Beistand für Tedros und die WHO: Von UN-Generalsekretär António Guterres über Multimilliardär und WHO-Großsponsor Bill Gates bis zur deutschen Bundesregierung.

Vieles richtig gemacht

Tatsächlich machten Tedros und die WHO in den vergangenen Monaten einiges richtig: So warnte die WHO die Mitgliedsländer schnell vor dem völlig unbekannten Corona-Virus, sie schickt Experten und medizinische Ausrüstung in besonders betroffene Länder – auch nach China. Und sie treibt die Bereitstellung eines Heilmittels und die Entwicklung eines Impfstoffes voran.

Nähe zu China

Doch leistete sich Tedros immer wieder Fehler. Und seine Nähe zu China gibt zu denken – China unterstützte die Wahl von Tedros 2017 zum WHO-Chef. Noch Ende Januar lobhudelte Tedros: „China setzt derzeit neue Maßstäbe bei der Reaktion auf einen Ausbruch.“
Schon zu diesem Zeitpunkt mehrten sich die Zweifel an Chinas Corona-Politik. Haben die Machthaber in Peking wirklich sofort reagiert? Geben sie korrekte Informationen?

Selbst John MacKenzie, Berater des WHO-Notfallkomitees zur Pandemie, räumte gegenüber dem britischen „Guardian“ ein, dass die Organisation von den Chinesen „ein wenig getäuscht“ worden sei. Hinweisgeber aus den Krankenhäusern in Wuhan wurden zum Schweigen gebracht. Schon Mitte Jänner sollen chinesische Forscher herausgefunden haben, dass eine 53-jährige Patientin im chinesischen Wuhan ihren Mann angesteckt hatte – ohne dass die WHO informiert wurde.

Hinweise aus Taiwan ignoriert

Zugleich wurden offenbar frühe Hinweise aus Taiwan auf mögliche Mensch-zu-Mensch-Übertragungen des Virus von der WHO ignoriert. Die kommunistische Staats- und Parteiführung in Peking verhindert seit Jahren eine Mitgliedschaft Taiwans in der WHO. China sieht Taiwan als abtrünnige Provinz an, die wieder mit der Volksrepublik vereinigt werden soll - notfalls auch mit Gewalt. Zugleich ist es gerade die Regierung in Taiwan, die besonders früh und zugleich erfolgreich gegen eine Ausbreitung des Virus vorging und über entsprechendes Know-how verfügt.

"Eine gewisse Komplizenschaft"

All das lasse den Schluss zu, dass „eine gewisse Komplizenschaft zwischen der WHO-Führung einerseits und der chinesischen Regierung andererseits zu vermuten wäre“, meint etwa die Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik von der Universität Wien. Allerdings hätten auch Europa und die USA schon früher „wach werden“ und nach Ostasien schauen können, meint die Sinologin.

Auch beharrte China lange auf offenen Grenzen – was Tedros im Prinzip unterstützte. Er betonte Anfang Februar, es gebe keinen Grund für Maßnahmen, die „unnötigerweise den internationalen Reiseverkehr und Handel beeinträchtigen“. Damit bewegte er sich zwar auf der Linie der internationalen Gesundheitsvorschriften – seine Empfehlung liefert aber jetzt Munition für Trump.

Einreisestopp

Der US-Präsident ordnete hingegen Ende Januar einen Einreisestopp für Ausländer an, die sich 14 Tage lang in China aufgehalten hatten. Allerdings zeigte die Maßnahme nicht unbedingt die gewünschte Wirkung. Der Erlass galt etwa nicht für Menschen, die ihren legalen ständigen Wohnsitz in den USA haben. Laut „New York Times“ gelangten so in den ersten beiden Monaten nach der Verfügung nahezu 40.000 Reisende aus China in die USA. Auch dass die WHO nun der Öffnung jener Märkte in Wuhan zustimmte, von wo das Virus ausgegangen sein soll, sorgt für Unverständnis.

Aufarbeiten

Keine Frage: Die Führung der WHO hat Fehler gemacht; man wird sich diese in Ruhe ansehen müssen – nachdem diese Krise bewältigt ist. Gravierende Fehler hat aber offenbar auch der US-Präsident gemacht – er scheint sich einige Sorgen zu machen, dass dies auch die Wähler im November so sehen könnten.