Ein Land ächzt unter der Last einer Seuche: Die Zahl der Infizierten explodiert, für die tausenden Toten in New York finden sich nur noch Ersatzplätze, die Wirtschaft stellt auf Krisenmodus. Nach China und Italien sind nun die USA zum Brennpunkt der Corona-Pandemie geworden. Landesweit sind bisher mehr als 23.000 Menschen nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben, alleine mehr als 10.000 davon in New York.
Und mittendrin: Donald Trump, wie er eben so ist, mit und ohne Krise. Nationaler Schulterschluss? Keine Rede. Der US-Präsident hat mit einem bizarren Auftritt vor der Presse viele im Land verstört – und einen Machtkampf mit den Gouverneuren angeheizt, der sich seit Wochen zuspitzt. In den USA geht es, wie überall, um die Frage, wann die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus gelockert werden. Ginge es nach Trump, wären sie wohl bald weg, wenngleich selbst seine Berater warnen, die USA hätten den Höhepunkt der Ausbreitung und Erkrankungen noch gar nicht erreicht. Dessen ungeachtet stoppte Trump am Mittwoch die Beitragszahlungen der USA für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) - er sieht die Schuld für die Vielzahl an Toten bei der WHO, obwohl diese lange vor Trumps Reaktion vor dem Virus gewarnt hatte. Ein neuer Sündenbock?
Doch in Washington geht es nun um eine ganz andere Frage: Wer darf über eine Lockerung überhaupt entscheiden? Und für Donald Trump ist eines klar: Als Präsident habe er die „allumfassende Macht“, sagte Trump - und reklamierte die Entscheidungshoheit bei der Lockerung für sich.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: „Der Präsident hat keine allumfassende Macht. Wir haben eine Verfassung, wir haben keinen König“, sagte Andrew Cuomo, der Gouverneur des besonders betroffenen Bundesstaats New York. Sein Amtskollege Tom Wolf, Gouverneur von Pennsylvania, sieht das ähnlich: „Nachdem wir die Verantwortung hatten, den Bundesstaat herunterzufahren, glaube ich, dass wir wohl auch vorrangig zuständig sind, ihn wieder hochzufahren“, ließ er den Präsidenten wissen.
Der angespannte Auftritt Trumps, bei dem er ein Video präsentierte, das ihn als perfekten Krisenmanager ohne Makel in Szene setzt, zeigt vor allem eines: Die Nerven liegen blank. Im November stehen Präsidentschaftswahlen an; fallen die Wirtschaftsdaten in den Keller, könnte dies Trumps Wiederwahl gefährden. Für das Land geht es um noch viel mehr – tausende Menschenleben stehen wegen Covid-19 auf dem Spiel – und auch die Arbeitslosenzahlen schnellen nach oben.
Der US-Präsident gilt als mächtigster Mensch der Welt. Doch dass die Dinge nicht ganz so einfach liegen, zeigt der jetzige Streit. Denn Verfassungsexperten geben den Gouverneuren Recht. Das Verhältnis der einzelnen Bundesstaaten zur Zentralgewalt in der Hauptstadt war in den USA – wie auch in anderen föderal strukturierten Staaten – seit jeher ein politisches Spannungsfeld. Gerade in innenpolitischen Fragen haben in den Vereinigten Staaten die Bundesstaaten großes Gewicht. Einzig die Außenpolitik und Verteidigungsfragen liegen ausschließlich beim Präsidenten – und auch beim Kongress, der diesen kontrolliert. In vielen anderen Bereichen, die in den Alltag im Land selbst hineinspielen, liegen die Kompetenzen bei den Bundesstaaten.
Deutlich strenger
Die Regierung in Washington hat in der Corona-Krise selbst bisher überhaupt nur Empfehlungen abgegeben, Abstand zu halten und Menschenansammlungen zu meiden. Ende des Monats laufen diese Corona-Richtlinien aus, Trump will möglichst rasch die Wirtschaft des Landes wieder anlaufen lassen. Verpflichtende und deutlich strengere Ausgangsbeschränkungen, die teilweise bis in den Frühsommer gültig sind, erließen die einzelnen Staaten – einige, wie New York, erkannten schon wesentlich früher, dass rasches Handeln nottut. New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo, ein Demokrat, gilt wegen seines Krisenmanagements derzeit als einer der angesehensten Männer der USA – Cuomo wird zugute gehalten, klar zu kommunizieren, sich so weit wie möglich an Fakten zu orientieren und nebenbei den richtigen Ton zu finden, um der leidgeplagten Bevölkerung in New York Mut zuzusprechen.
Die Corona-Krise ist für Trump auch Wahlkampf: Erst zuletzt versuchte er mit einem PR-Video, in dem sein Krisenmanagement in den höchsten Tönen gelobt wird, zu punkten. „Ich habe die Ausstrahlung von Trumps Pressebriefings verteidigt", twitterte US-Journalist Sam Stein, "aber es gibt buchstäblich keinen Grund, eine Propagandawerbung zu senden. Es ist absurd.“
Dazu kommt, dass selbst Trumps wichtigster Berater in virologischen Fragen, Anthony Fauci, kürzlich einen Bericht der „New York Times“ bestätigte, wonach man viele Menschenleben hätte retten können, wäre früher auf die Coronavirus-Pandemie reagiert worden. Die Experten seien mit ihren Warnungen „auf Widerstand gestoßen“, sagte Fauci, ohne den Präsidenten explizit zu nennen. Fauci ist – noch – im Amt; die Journalisten, die es wagten, Trump danach zu fragen, warum er trotz Warnungen im Jänner den ganzen Februar über zuwartete, wurden vom Präsidenten, wie gewohnt beschimpft - wonach auch MSNBC-Moderator Joe Scarborough vor laufender Kamera seinen Unmut über Trumps Darstellung der Realität freien Lauf ließ.
Die Allianzen der Gouverneure an der Ost- und an der Westküste, die, abhängig von der Entwicklung der Infektionszahlen, die Lockerungsmaßnahmen aufeinander abstimmen wollen, sind für Trump unbequem – sie geben anderen eine Bühne und bedeuten schlimme Wirtschaftsdaten bis November.