Punkt acht Uhr am Sonntagabend wurde den Briten Zuspruch zuteil aus Windsor Castle.Königin Elizabeth II., die sich dort zusammen mit Prinz Philip eingeschlossen hat, bestärkte ihr Volk in der Überzeugung, gemeinsam sei man auch in der gegenwärtigen Krise stark.
„Alle zusammen wehren wir uns gegen diese Krankheit“, erklärte die Monarchin. „Und ich möchte Ihnen versichern, dass wir sie bezwingen werden, wenn wir nur vereint und resolut bleiben.“
Sie halte sich an den tröstlichen Gedanken, „dass bessere Zeiten wiederkommen werden, dass wir wieder mit unseren Freunden zusammen sein werden, dass wir wieder mit unseren Familienangehörigen zusammen sein werden“. „We will meet again“, wir sehen uns wieder, gelobte die Queen.
Für viele war es ein bewegender Augenblick auf der Insel. Just zum Zeitpunkt der Übertragung aber, die von 24 Millionen Menschen verfolgt wurde, verließ in aller Stille in London ein Wagen die britische Regierungszentrale, die Downing Street.
Premier auf der Intensivstation
Premierminister Boris Johnson (55) wurde in aller Eile ins nahe St.Thomas Hospital, ein Krankenhaus gleich auf der anderen Seite der Themse, geschafft. Im verzweifelten Bemühen, den Abtransport des Regierungschefs herunter zu spielen, betonte ein Regierungssprecher, der Premier sei keineswegs in einem Rettungswagen, sondern in einer Privatlimousine in die Klinik gefahren worden. Und er sei dort nur, um sich gewisser „Tests“ zu unterziehen.
„Auf Anraten seines Doktors“ habe sich Johnson ins Krankenhaus begeben, war die offizielle Version an diesem Abend. Es handle sich nur um „eine vorbeugende Massnahme“, da der Regierungschef zehn Tage nach der Diagnose seiner Coronavirus-Erkrankung leider noch immer „hartnäckige Symptome“ aufwies.
Im Laufe des Montags fügte Johnsons Minister für Kommunales, Robert Jendrick, eilfertig an, der Premier leite weiter vom Krankenhaus aus die Regierungsgeschäfte, stehe mit all seinen Mitarbeitern in Kontakt und werde „in Kürze“ wieder zurück in der Downing Street erwartet. Er habe „gehört, dass es ihm gut geht“, berichtete Jendrick wohlgemut.
Zu diesem Zeitpunkt hatten Reporter der Londoner Times allerdings schon heraus gefunden, dass Johnson in St Thomas unter anderem mit Sauerstoff versorgt worden war. Es sei ja auch „unwahrscheinlich, dass er eingeliefert worden wäre, wenn die Ärzte nicht ernste Bedenken gehabt hätten“, fand der Guardian. „Kleinere Tests hätte man auch in Downing Street vornehmen können.“
Man werde den Premier erst einmal weiter „zur Beobachtung“ in der Klinik behalten, hieß es gestern erst. In der britischen Politik löste das naturgemäss einige Unruhe aus. Johnson selbst tweetete am Nachmittag, er sei „guten Mutes“ und arbeite sich weiter durch seine Papiere hindurch. Gegen Abend verschlechterte sich der Zustand des Premiers jedoch. Johnson musste laut eines BBC-Berichts auf die Intensivstation verlegt worden.
"Hustend und prustend"
In der Tat hatte Boris Johnson sich in den letzten Tagen alle Mühe gegeben, weiter den Anschein zu erwecken, alles fest im Griff zu haben. Nachdem er am vorletzten Freitag bekannt gab, dass er sich angesteckt hatte und sich für eine Woche selbst-isolieren werde, leitete er weiter persönlich via Bildschirm das morgendliche „Corona-Kabinett“.
„Hustend und prustend“ habe er sich dieser Pflicht unterzogen, berichtete ein Kabinettsmitglied. Zweimal wandte er sich in einem kleinen Video an die Nation, zuletzt, um seine Landsleute noch einmal nachdrücklich aufzufordern, auch bei schönem Wetter um Himmels willen zuhause zu bleiben.
Anlässlich des nun schon zum Ritual gewordenen landesweiten Donnerstagabend-Applaus für die Mitarbeiter des Nationalen Gesundheitsdienstes liess er sich vorige Woche sogar kurz an der Tür von No 11 Downing Street sehen, wo er sein Wohnquartier hat, um mitzuklatschen. Recht einsam nahm er sich da aus. Und jedenfalls nicht bei guter Gesundheit. Das konnte jeder sehen.
Kurz darauf musste er einräumen, dass er wegen anhaltenden Fiebers seine Selbstwegsperrung zum Wochenende nicht, wie geplant, aufheben würde. Und am Sonntag schaffte man ihn dann, während die Königin sprach, ins Krankenhaus.
Inzwischen ist der Grad seiner generellen Fitness zum Gesprächsthema in Grossbritannien werden. Einige Kommentatoren erinnern daran, dass Johnson als Londoner Mayor stets Rad gefahren war und heute noch immer Tennis spielt und an Workouts teilnimmt. Andere betrachten den Premier als bedenklich übergewichtig – obwohl er zweifellos abgespeckt hat seit seiner Zeit als Aussenminister, und er auch den Alkoholgenuss eingeschränkt haben soll.
Was Johnsons plötzliche Abwesenheit in der Regierungszentrale indessen ausgelöst hat, ist zusätzliche Verunsicherung, was die Regierungspolitik betrifft. Schon in den letzten Tagen hatten Gesundheitsminister Matt Hancock und die wechselnde medizinischen und wissenschaftlicher Berater der Regierung sich zunehmend in Widersprüche verstrickt und von Tag zu Tag an Ansehen verloren.
Immer deutlicher ist neuerdings, dass eingekaufte Test-Kits nicht funktionieren, versprochene Test-Zahlen sich nicht einhalten lassen, Beatmungsgeräte im grossen Masse fehlen und niemand sich Gedanken über eine Exit-Strategie gemacht hat bisher.
Gestern erhöhte sich die Gesamtzahl der Coronavirus-Toten im Vereinigten Königreich auf weit über 5.000. In manchen Landesteilen nimmt die Einlieferung von Patienten alle 24 Stunden um 25 Prozent zu.
Dabei scheint man sich bis ins Kabinett hinein uneins zu sein über das weitere Vorgehen. Der Premier selbst hatte ja schon, vor seiner Erkrankung, mächtig laviert.
"Herden-Immunität"
Erst hatte er die Ansteckungs-Gefahr herunter gespielt, weitflächige Tests eingestellt und Mitte März noch das Cheltenham-Pferderenn-Festival mit einer Viertelmillion Gästen zugelassen. Dann hatte er, binnen weniger Tage, das Steuer herumgeworfen, das anfangs verfolgte Konzept der „Herden-Immunität“ verworfen und, sehr verspätet, mit einem Lockdown reagiert.
Mittlerweile glauben Politiker wie der neugewählte Labour-Chef und Oppositionsführer Sir Keir Starmer, dass sich die Regierung vor einer Untersuchungskommssion für ihre Aktionen wird verantworten müssen, wenn erst die Krise überstanden ist.
Vorläufig, meinte Starmer, biete er dem Kabinett freilich Labours Unterstützung an „auch für noch schärfere Massnahmen“ zur Eindämmung des Virus. Der Königin bescheinigte der Labour-Politiker, mit ihrem Aufruf zur Solidarität „genau den richtigen Ton“ getroffen zu haben. Und „alles Gute und rasche Genesung“ wünschte er dem Patienten aus der Downing Street.
Peter Nonnenmacher aus London