"Siamo con voi!“, wir sind bei Euch, so schallte es am Donnerstag von der letzten Seite der „Bild“-Zeitung in Richtung Italien. Ganzseitig abgebildet war eine erschöpfte Krankenschwester aus Bergamo, dazu Fotos aus der italienischen Corona-Apokalypse. Im auf Deutsch und Italienisch veröffentlichten Text war von Italien-Sehnsucht und von „Antipasti, Farfalle, Tiramisu“ die Rede. „Wir fühlen mit Euch, weil wir Brüder sind!“, lautete ein Satz. Allein, die Botschaft kam nicht an. Am Freitag reagierte der renommierte „Corriere della Sera“, Stimme des seriösen Italiens. „Heuchlerisch“ sei dieser Zuruf.
Die journalistische Dialektik trifft das deutsch-italienische Verhältnis dieser Tage gut. „Auf solche Zuneigungsbekundungen können wir verzichten“, schrieb der „Corriere della Sera“, fügte aber versöhnlich hinzu, dass es sich bei „Bild“ ja nicht um Deutschland handelte. Von dort kämen „schöne, konkrete Bekundungen von Solidarität“. Doch Italien erwarte Antworten auf die „Mutter aller Fragen“, die finanzielle Garantien zum Schutz des Marktes und der europäischen Wirtschaft betreffe. Es ist kein unbekanntes Muster für Partnerschaften: Sobald vom Geld die Rede ist, kracht es.
Der Disput begann Anfang März, als Berlin in den ersten Tagen der Virusepidemie ein Ausfuhrverbot von Schutzmasken verhängte, das rasch wieder aufgehoben wurde. Auch eine auf Italienisch gehaltene Ansprache von EU-KommissionspräsidentinUrsula von der Leyen („Wir sind alle Italiener“) nahm bei vielen Italienern einen schalen Beigeschmack an, seit sich die Staats-und Regierungschefs beim EU-Gipfel am 26. März wegen des Widerstands von Deutschland, den Niederlanden und Österreich nicht auf Coronabonds, also gemeinsame EU-Anleihen zur Finanzierung der Folgen der Epidemie, einigen konnten. „Das hässliche Europa“ titelte die liberale Zeitung „La Repubblica“ am nächsten Tag. An der Bitterkeit war abzulesen, wie stark das Verhältnis beeinträchtigt ist.
Der Bruch entstand nicht erst jetzt. Die Eurokrise 2008 und die Migrationskrise 2015 beschädigten das Verhältnis, Italien fühlte sich schon damals im Stich gelassen. Die Tatsache, dass auf beiden Seiten längst um einen Kompromiss gerungen wird, kommt in der öffentlichen Meinung zu kurz.
Wie lässt sich den Krisenländern am besten helfen?
Ökonomisch gesehen dreht sich der Streit um die Frage, ob die Mittel im Euro-Rettungsschirm (ESM), in der Europäischen Investitionsbank und im EU-Haushalt ausreichen, um von der Coronakrise besonders geschädigte Länder zu unterstützen. Oder ob gemeinsame EU-Anleihen mit günstigeren Zinssätzen für die Krisenkandidaten und eine Vergemeinschaftung der Schulden im Ernstfall notwendig seien, wie sie Italien, Spanien, Frankreich und weitere fünf Länder fordern. „2020 wird ein Schicksalsjahr der EU“, sagt Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte.
Seine Links-Regierung ist getrieben von Ex-Innenminister Matteo Salvini. Der Chef der rechten Lega schürt den Hass auf die EU: „Das einzige Interesse Europas ist das Geschäft“, behauptet er. „Für die Deutschen lohnt es sich nicht, zu helfen, denn niemand kann mich davon überzeugen, dass hier nicht jemand das Virus benutzt, um einen Handelskrieg zu entfachen.“ Solche Parolen greifen bei durch vorherige Krisen vorbelasteten Italienern. Das Vertrauen in die EU sinkt immer weiter. „Die Italiener glauben nicht mehr an Europa“, schrieb das Umfrageinstitut IPR Ende März. 72 Prozent der Befragten denken, die EU habe auf keine Weise zur Lösung der gegenwärtigen Krise beigetragen.
unserem Korrespondenten Julius Müller-Meinigen