Die britische Regierungsspitze muss ihren Kampf gegen das Coronavirus in Selbstisolation bestreiten. Nach Premierminister Boris Johnson und Gesundheitsminister Matt Hancock hat sich auch der Regierungsberater für Medizin, Chris Whitty, in häusliche Quarantäne begeben. Ein früherer Direktor des Nationalen Gesundheitsdienstes NHS, John Ashton, warf der Regierung indes eine zu langsame Reaktion vor.
Nachdem Johnson und Hancock am Freitag bekannt gegeben hatten, positiv auf das Virus getestet worden zu sein, tauchte am Samstag ein weiterer Verdachtsfall auf. Auch Schottland-Minister Alister Jack habe sich mit "milden" Coronavirus-Symptomen in häusliche Isolation begeben, teilte eine Sprecherin mit.
Ex-NHS-Regionaldirektor Ashton sagte, die Regierung sei sowohl bei den Maßnahmen für das Land als auch im persönlichen Verhalten "zu langsam" gewesen. Er wies darauf hin, dass noch am Mittwoch - zwei Tage nach Verhängung der Ausgangssperre - eine Parlamentssitzung stattfand.
Parlamentssitzung
"Ich war überrascht, dass die Fragestunde abgehalten wurde - es war eindeutig unnötig", sagte Ashton dem "Guardian" mit Blick auf die traditionell in sehr beengten Verhältnissen stattfindenden Parlamentssitzungen. Die "Financial Times" zitierte ein Kabinettsmitglied mit dem Vorwurf, einige Minister seien "sehr zögerlich" gewesen, die eigenen Ratschläge zur sozialen Distanz in die Praxis umzusetzen. Ein anderes Regierungsmitglied beschwerte sich der Zeitung zufolge, der Nationale Sicherheitsrat Cobra habe noch bis vor wenigen Tagen "zusammengepfercht" in einem abhörsicheren Sitzungsraum getagt.
Johnson hatte noch Anfang März geprahlt, er habe Menschen in einem Krankenhaus, darunter Covid-19-Patienten, die Hände geschüttelt. Das werde er auch weiterhin tun, sagte er damals. Die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der Pandemie beschränkten sich zu diesem Zeitpunkt auf den Ratschlag, sich häufig und gründlich die Hände zu waschen.
Der Premierminister hatte angekündigt, von seiner Dienstwohnung aus in der Downing Street zu arbeiten. Seine Symptome seien mild, hatte er betont. Unklar ist, ob sich auch die schwangere Verlobte Johnsons, Carrie Symonds, angesteckt hat. Das gemeinsame Baby soll im Frühsommer auf die Welt kommen. Johnson ist zweimal geschieden und wohnt seit der Regierungsübernahme im vergangenen Juli mit der über 20 Jahre jüngeren Ex-Medienberaterin der Konservativen Partei im Amtssitz in der Londoner Downing Street. Von ihr muss er sich nun fernhalten. Das Essen und Regierungsdokumente werden dem Premierminister Berichten zufolge vor die Tür gelegt.
Neben Hancock hatte sich mit Whitty auch der oberste britische Berater in medizinischen Fragen in Selbstisolation begeben. In London geht nun die Sorge um, dass die Entscheidungsfähigkeit der Regierung beeinträchtigt sein könnte, sollten noch weitere Kabinettsmitglieder infiziert sein. Vorsorgliche Tests weiterer Minister und Mitarbeiter soll es aber zunächst nicht geben. "Alle folgen den Ratschlägen der Gesundheitsbehörde", sagte ein Downing-Street-Sprecher auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Die laute, sich in Selbstisolation zu begeben, sobald Symptome auftreten.
In London, Manchester und Birmingham wurden unterdessen begonnen, Konferenzzentren zu temporären Krankenhäusern umzubauen. Allein im Excel-Centre in der britischen Hauptstadt sollen 4.000 Patienten behandelt werden können.
Indes gibt es schon mehr als 1000 Corona-Tote in Großbritannien.
Die britische Regierung kündigte an, ihre Testkapazitäten erheblich zu erweitern. Bisher wurden in Großbritannien nur rund 114.000 Menschen auf das Coronavirus getestet. In Österreich gab es bis Samstagvormittag 42.750 Tests, was gemessen an der Einwohnerzahl fast drei Mal so viele sind. Offiziell gibt es im Vereinigten Königreich 14,754 bestätigte Infektionen (Österreich: 8.030).