Als Hyomin Han davon hörte, dass jetzt in anderen Ländern Klopapier und Seife aus sind, wollte sie zuerst ihren Ohren nicht trauen. Dann stieß sie online gleich auf mehrere Artikel, in denen aus allen Erdteilen über dieses Problem geklagt wird. Die Berichte kamen aus Japan, Europa und den USA, jenen Ländern also, die man in Südkorea eigentlich die wichtigsten Partner nennt. Plötzlich kamen ihr diese Länder fremd vor. „Ich kann es nicht glauben, dass man so etwas tut. Was soll das?“ Die 29-Jährige aus Seoul habe dann mit ihren Freunden im In- und Ausland darüber gesprochen, ob so etwas normal sei. In ihrem Land sei es das jedenfalls nicht.
Kaum Hamsterkäufe
Dabei geht es Hyomin Hans Heimat Südkorea auf den ersten Blick nicht viel besser. Am Montag zählte das Land 8961 bestätigte Coronafälle. Und es gibt durchaus Grund zur Sorge, dass es zuerst noch mehr werden, ehe der Wert irgendwann wieder abnimmt, wie überall sonst auch. Zugleich aber wird im Land kaum von Hamsterkäufen berichtet. Zudem läuft der reduzierte Alltag weitgehend geordnet und den Anweisungen konform ab. Hyomin Han hat den Eindruck, dass die Menschen verstanden haben, worum es gerade geht. Sie wundere sich aber, wenn dies anderswo auf der Welt nicht der Fall sei.
Tatsächlich mausert sich das ostasiatische Land gerade zu einem internationalen Vorbild. Noch Ende Februar hatte die Welt eher mit Schaudern nach Südkorea gesehen, nachdem sich die Infektionszahlen dort innerhalb von gut zwei Wochen von 28 auf über 6000 multipliziert hatten. Eine Kirchengemeinde südöstlich von der Hauptstadt Seoul hatte unbeirrt ihre Gottesdienste durchgeführt, schon bald war ein Großteil der Infektionen im Land auf diese Kirche zurückzuführen. Südkorea schien wie das Paradebeispiel einer angesichts sich ausbreitender Viren schwer überforderten Gesellschaft.
Flächendeckende Drive-in-Corona-Tests
Mittlerweile aber steht das Land für das Gegenteil. Einerseits hat es die Politik zunächst erreicht, eine weitere Ausbreitung von Covid-19 weitgehend einzudämmen. Der Ansatz der Regierung besteht unter anderem aus der Desinfektion öffentlicher Orte, breit durchgeführten Tests an der Bevölkerung durch Drive-in-Einrichtungen sowie regelmäßigen, detaillierten Informationen zu den Aufenthaltsorten der zuletzt bekannt gewordenen Infizierten. In einer internationalen Telefonkonferenz hat Südkoreas Außenministerin Kang Kyeong-hwa dieses Vorgehen auch den Regierungen anderer Länder, unter anderem Deutschland, vorgestellt und empfohlen.
Dabei wäre dieses System, das Südkorea maßgeblich in Reaktion auf die vorigen Epidemien Sars und Mers entwickelt hat, nur wenig wert ohne eine Bevölkerung, die aktiv kooperiert. Es scheint zu funktionieren. Am Montag berichtete etwa die Tageszeitung „Hankyoreh“, dass diejenigen Bevölkerungsgruppen, für die das Einkaufen von Gesichtsmasken derzeit besonders schwierig ist, häufig Masken und andere Hygieneartikel von Mitmenschen geschenkt bekommen. Vor allem Taxifahrer, Sicherheitskräfte und ältere Menschen zählten zu den Glücklichen. Laut Medien werden Masken derzeit auch als eine Art Friedenspfeife eingesetzt – man schenkt sie demjenigen, mit dem man einen Konflikt beilegen will.
Kindergärten und Schulen, die in Südkorea derzeit geöffnet bleiben, freuen sich zudem über Sammel- und Spendenaktionen rund um Masken oder Desinfektionssprays. Besondere Schlagzeilen machte in der Vorwoche eine ältere Frau im südöstlich gelegenen Ulsan, die sich bei der Polizei als einfache Straßenverkäuferin vorstellte und dort ein Plastiksackerl mit 40 Gesichtsmasken und einer Million Won (rund 750 Euro) in bar abgab. Die Polizei möge diese Gaben für Notdürftige verwenden.
Freiwillige
Es sind Anekdoten, die sich in Südkorea zu einem sozialen Notfallsystem zusammenfügen. Insbesondere in Krisenzeiten fällt in dem Land immer wieder eine enorme Hilfsbereitschaft auf. So etwa im Jahr 2014, als im Südwesten des Landes das Passagierschiff Sewol mit rund 300 Schulkindern an Bord untergegangen war, von denen man lange Zeit nicht wusste, ob diese noch lebten. Kurz nachdem die Eltern der Kinder ans nächste Ufer gereist waren, um dort auf Rettungen oder Bergungen zu warten, hatte sich für deren Aufenthalt schon ein Versorgungsdorf etabliert. Zahlreiche Freiwillige kochten den bangenden und trauernden Eltern Suppe, boten ihnen Zelte, Massagen und Kuchen.
Kollektive Solidarität
In Südkorea gelten solche Aktionen kollektiver Solidarität noch nicht einmal als große Heldentat, eher als Gebot in schwierigen Zeiten. „In Ausnahmesituationen muss man sich doch helfen“, sagt Hyomin Han, die derzeit weiterhin wie sonst zur Arbeit gehen und einkaufen kann. „Indem man alles für sich kauft, hilft man niemandem, nicht einmal sich selbst.“ Vielmehr wäre es peinlich, sagt sie, wenn einen irgendwer mit all den Einkäufen unterm Arm sähe. Aber wenn jemand Fremdes einem anderen Wildfremden auf der Straße eine Maske schenke, das vergesse man nicht.
Felix Lill