Ein Konvoi aus Militärlastwagen fährt am frühen Morgen durch das Tor des Friedhofs von Bergamo mit seiner monumentalen Tempelarchitektur. Siebzig Särge holen Soldaten aus der Leichenhalle und der Friedhofskirche, um sie in umliegende Städte zu bringen; denn das Krematorium ist völlig überlastet. Allein 88 Todesfälle mit Coronavirus waren am Vorabend in der norditalienischen Stadt zu verzeichnen, nicht mitgezählt jene, die zu Hause sterben, ohne auf die Krankheit getestet zu werden.

Epizentrum der Corona-Krise

Wir sehen noch kein Licht am Ende des Tunnels“, sagt der Bürgermeister der Stadt, Giorgio Gori. Weder das seit knapp zwei Wochen landesweit geltende Ausgehverbot noch dessen jüngste Verschärfung reichten aus, um die Bürger zu Hause zu halten. Jetzt ist auch Sport nur noch in der unmittelbaren Wohnumgebung erlaubt, alle Parks sind geschlossen. Bergamo hat sich in den vergangenen Tagen zum Epizentrum der Coronavirus-Krise in der ohnehin am stärksten betroffenen Lombardei entwickelt.

Sirenen der Rettungswagen

„Es gibt so viele Tote hier“, sagt Antonella Taiocchi und kann es selbst kaum fassen. In der Lokalzeitung „L’Eco di Bergamo“ füllten die Todesanzeigen früher eine Seite, nun seien es bis zu zehn, berichtet die Bankangestellte. „Alte Menschen, die jeden Tag ausgehen, um am Kiosk die Zeitung zu kaufen, sehen da jetzt die Fotos ihrer Freunde.“ Bislang hat Taiocchi noch keinen Todesfall in ihrer unmittelbaren Umgebung erlebt. „Wir haben Glück gehabt“, sagt die Frau, die mittlerweile von zu Hause aus arbeitet. Dort hört sie rund um die Uhr die Sirenen der Rettungswagen auf dem Weg ins Spital. Vor ein paar Tagen hielt ein Krankenwagen direkt vor ihrem Haus, Sanitäter kamen, um einen Nachbarn abzuholen. „In dem Moment habe ich Panik bekommen“, gesteht die 55-Jährige. Kein Angehöriger darf die Kranken begleiten. „Du bist allein, bis du entlassen wirst oder stirbst.“

Schwere Atemnot

Ein Arzt aus einem Krankenhaus in Treviglio bei Bergamo beschreibt seine Erfahrungen in einem Videotagebuch als Reise ohne Rückfahrkarte. „In der Nacht kam ein 47 Jahre alter Mann mit schwerer Atemnot“, berichtet der Mediziner aus der Notaufnahme mit gebrochener Stimme. Als er ihm vorgeschlagen habe, ihn zu intubieren, um ihn künstlich zu beatmen, habe er geantwortet, sein Schwiegervater sei bereits gestorben und jetzt sei er selbst an der Reihe. „Tun Sie, was Sie können, jetzt bin ich in Ihrer Hand. Sagen Sie meiner Familie Bescheid“, zitiert der Mann mit Tränen in den Augen den Patienten.

Feldkrankenhaus

Seit Tagen berichten Ärzte aus der Region, dass nur noch diejenigen Patienten mit den größten Überlebenschancen an Beatmungsgeräte angeschlossen würden. Der Präsident des Katastrophenschutzes bemüht sich, angesichts des Mangels an Schutzkleidung und Geräten auf Intensivstationen und der hohen Anzahl an Todesopfern um Ruhe. „Uns sind keine Schwierigkeiten auf Intensivstationen bekannt“, betont Angelo Borrelli. Die Bettenzahl auf Intensivstationen sei von landesweit 5400 auf 8000 erhöht worden. Der betont unaufgeregte Chef des Katastrophenschutzes gesteht aber auch ein, dass niemand vorhersagen könne, wann der Höhepunkt der Epidemie erreicht sei, ob kommende Woche oder erst später. In Bergamo wird inzwischen wie in Mailand in einer ehemaligen Messehalle ein Feldkrankenhaus mit 230 Betten eingerichtet, das Anfang der Woche fertiggestellt sein soll.

Gourmet-Lokal kocht gratis für die Helfer

Ein Gourmet-Restaurant, das zu den wenigen in Italien mit drei Michelin-Sternen gehört, wird gratis für Patienten und Belegschaft kochen. Anstatt seine Spezialitäten im exklusiven Lokal „Da Vittorio“ bei Bergamo sowie in Niederlassungen in St. Moritz und Schanghai zu kredenzen, ruft Enrico Cerea zu Sachspenden auf. Seine Mannschaft werde für 500 Personen täglich drei Mahlzeiten bereiten. Alle Spenden, ob Obst, Gemüse, Fleisch oder Tiefkühlkost, seien willkommen. Die Aktion des Sternekochs ist Teil einer Welle von Hilfsbereitschaft.

Hotels als Notstationen

Ein weiteres Beispiel sei die Spendensammlung, mit der Hotels in Quarantäne-Stationen für Patienten mit abklingenden Symptomen umgewandelt werden. Antonella Taiocchi: „Viele Leute wollen unbedingt helfen, arbeiten, wo es nötig ist.“ Bis vor wenigen Wochen verbrachte die Expertin für internationale Bankbeziehungen zwölf Stunden am Tag außer Haus, um nach Brescia zur Arbeit zu fahren und danach Freunde zu treffen. Jetzt sind sie und ihr Partner rund um die Uhr zu Hause, wenn sie nicht gerade für ihre Eltern einkaufen. „Wir stellen die Taschen auf dem Treppenabsatz ab“, sagt die Frau erleichtert darüber, dass ihre Eltern so nicht mehr die Wohnung verlassen. Diesen hat sie schnell beigebracht, Videotelefonate über Internet zu führen. „Mein Vater wollte zuerst nicht, es war sehr schwierig, ihnen klarzumachen, dass sie das Haus nicht mehr verlassen dürfen.“