Politische Überraschung in Israel: Staatspräsident Reuven Rivlin will Ex-Militärchef Benny Gantz offiziell mit der Regierungsbildung beauftragen. Die rechtskonservative Likud-Partei des bisherigen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu errang zwar bei der Wahl am 2. März Platz eins. Bei Konsultationen Rivlins mit den Parteichefs sprachen sich aber 61 von 120 Abgeordnete für Gantz aus.

Noch am Sonntag verständigten sich Netanjahu und Gantz auf Verhandlungen über die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit. Beide hätten zugestimmt, dass Unterhändler ihrer Parteien "so schnell wie möglich" zusammenkommen sollten, hieß es in einer Erklärung.

Unter Hinweis auf die Coronavirus-Krise hatte Netanjahu zuvor seinen Aufruf zur Bildung einer Notstandsregierung mit Gantz vom Mitte-Bündnis Blau-Weiß bekräftigt. "Angesichts der weltweiten und nationalen Notlage müssen wir unsere Kräfte vereinen und eine starke und stabile Regierung bilden, die einen Haushalt verabschieden und schwere Entscheidungen treffen kann", sagte Netanjahu laut seinem Büro.

Korruptionsprozess wegen Corona vertagt

Der ursprünglich für Dienstag angesetzte Beginn des Korruptionsprozesses gegen den 70-jährigen Netanjahu ist unterdessen wegen der Coronavirus-Krise um zwei Monate verschoben worden. Der Prozess solle nun am 24. Mai beginnen, teilte das Gericht am Sonntag mit. Besonders in der Opposition verstärkte dieser Schritt die Sorge, Netanjahu könne die Gesundheitskrise dazu missbrauchen, einer Strafverfolgung zu entkommen und demokratische Grundrechte zu beschneiden.

Seit mehr als einem Jahr ist Israel in einem politischen Patt gefangen. Auch die dritte Parlamentswahl binnen eines Jahres endete unentschieden. Weder Netanjahus rechts-religiöser Block noch Gantz' Zentrums-Bündnis Blau-Weiß verfügte bisher über eine Mehrheit.

Die Likud-Partei wurde mit 36 von 120 Sitzen zwar stärkste Kraft. Allerdings verfehlte das rechts-religiöse Lager um den Likud mit 58 Sitzen die notwendige Regierungsmehrheit von 61. Blau-Weiß kam auf 33 Sitze. Gantz erhielt am Sonntag die Empfehlungen von 61 Abgeordneten, dies gilt jedoch nicht unbedingt als Basis für eine Regierungsbildung. Denn der Ex-Militärchef lehnt eine Aufnahme der Vereinigten Arabischen Liste, mit 15 Sitzen drittstärkste Kraft, in eine Koalition ab. Auch der ultrarechte Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman sprach seine Unterstützung für Gantz aus.

Netanjahu bekräftigte am Sonntag einen Aufruf zur Bildung einer Notstandsregierung mit Blau-Weiß, mit einer Rotation im Amt des Ministerpräsidenten. "Angesichts der weltweiten und nationalen Notlage müssen wir unsere Kräfte vereinen und eine starke und stabile Regierung bilden, die einen Haushalt verabschieden und schwere Entscheidungen treffen kann", sagte Netanyahu laut seinem Büro. "Die Regierung wird für sechs Monate eingerichtet und die Ministerposten gleichwertig verteilt." Der Regierungschef könne laut dem Vorschlag keine Minister von Blau-Weiß entlassen und Blau-Weiß könne kein Misstrauensvotum gegen den Ministerpräsidenten unterstützen. "Nach dieser Periode werden wir zur Situation von heute zurückkehren."

Gantz hatte sich schon grundsätzlich zur Bildung einer Notstandsregierung bereit erklärt, zweifelte jedoch Netanyahus Ernsthaftigkeit an. Bisher war er wegen einer Korruptionsanklage gegen den Regierungschef nicht zu einem Bündnis mit der Likud-Partei bereit gewesen, solange Netanyahu an der Spitze steht.

Netanyahu ist seit 2009 durchgängig im Amt und war auch von 1996 bis 1999 Israels Ministerpräsident. Seit mehr als einem Jahr regiert er Israel an der Spitze einer Übergangsregierung.

Drastische Schritte von Netanyahus Regierung zur Eindämmung des Coronavirus haben unterdessen bei der Opposition Besorgnis ausgelöst. Justizminister Amir Ochana (Likud) verhängte in der Nacht zu Sonntag zunächst für 24 Stunden einen Notstand. Gerichte sollten nur noch in Notfällen aktiv werden. Davon ausgenommen sei das Höchste Gericht.

"Dies ist in der Tat eine Stunde der Not", warnte eine Kommentatorin der linksliberalen Zeitung "Haaretz" daraufhin am Sonntag. "Die Demokratie ist in diesen Tagen besonders zerbrechlich: Aus Sorge um sich und ihre Verwandten sind die Menschen leichter bereit, Bürgerrechte aufzugeben." Weil kaum jemand protestiere, sei Netanyahus Prozess einfach verschoben worden. Auch eine von Netanyahu angekündigte digitale Überwachung von Coronavirus-Infizierten sei "ein dramatischer Schritt, den man nicht leicht wieder rückgängig machen kann", schrieb sie.

Die Generalstaatsanwaltschaft wirft Netanyahu Betrug und Untreue sowie Bestechlichkeit vor. Es geht um den Verdacht der Beeinflussung von Medien, angeblich krumme Deals mit Unternehmen und Luxusgeschenke befreundeter Geschäftsleute im Gegenzug für politische Gefälligkeiten. Der Regierungschef hat alle Vorwürfe zurückgewiesen.

Ex-Verteidigungsminister Moshe Yaalon, ein Führungsmitglied bei Blau-Weiß, schrieb auf Twitter: "Jeder, der uns kritisiert hat, als wir davor gewarnt haben, dass wir wie Erdogans Türkei werden könnten, sollte nun verinnerlichen, wie ein Angeklagter vor dem Prozess die Corona-Krise auf zynische Weise für persönliche politische Ziele einsetzt."

Netanyahu hatte am Samstagabend massive Einschränkungen von Freizeitaktivitäten bekanntgegeben, um eine Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Versammlungen mit mehr als zehn Personen sind verboten, Schulen, Kindergärten und Universitäten sind geschlossen. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums ist das Virus Sars-CoV-2 mittlerweile bei mehr als 200 Personen in Israel nachgewiesen worden. Todesfälle wurden bisher nicht erfasst.

Israels Regierung erließ am Sonntag eine Reihe neuer Verordnungen. Polizisten und städtische Kontrolleure dürfen etwa Geldstrafen gegen Personen verhängen, die gegen Heimquarantäne verstoßen, wie das Ministerium für innere Sicherheit mitteilte. Strafe zahlen müssten auch jene, die gegen ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Menschen verstoßen, hieß es.

Um die Ausbreitung des Virus in Gefängnissen zu verhindern, sollten außerdem Verhandlungen über Haftverlängerung ohne physische Anwesenheit der Häftlinge erfolgen. Stattdessen sei eine Video-Übertragung geplant. Auch Besuche in Haftanstalten sollten beschränkt und Gespräche von Gefangenen mit Anwälten möglichst telefonisch erfolgen.