Die EU-Staaten sind bei der Aufnahme minderjähriger Flüchtlinge aus Griechenland weiter tief gespalten. Allerdings hätten sich mittlerweile mehr als sieben EU-Länder dazu bereit erklärt oder ihre Bereitschaft signalisiert, sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson im Anschluss an den Rat der EU-Innenminister am Freitag. Johansson, die selbst diese Woche die griechisch-türkische Grenze besucht hatte, berichtete, es gebe sehr wenig neue Ankünfte. Dies führt der kroatische Innenminister Davor Bozinovic auf die schnelle Reaktion Griechenlands und der EU zurück. Zweites Top-Thema des Treffens war die Coronavirus-Krise.

Die Aktion solle nach Angaben von Johansson sobald wie möglich beginnen. Jedes Land habe seine eigenen Kriterien für die Auswahl der 1.600 betroffenen Kinder und Jugendlichen, berichtete sie. Die anderen EU-Länder seien bereit, Griechenland anderwärtig zu unterstützen.

"Anpacken"

Auch der luxemburgische Außen- und Immigrationsminister Jean Asselborn betonte vor dem Rat der EU-Innenminister, dass es "sieben, acht Länder" gebe, "die anpacken wollen". Neben Luxemburg gehören Deutschland, Frankreich, Finnland, Irland und Portugal dazu. Auch Bulgarien habe Bereitschaft gezeigt, hieß es am Freitag in Brüssel. Die Schweiz hatte in den vergangenen Monaten ebenfalls signalisiert, Kinder und Jugendliche aufnehmen zu wollen. Asselborn hoffe, dass die Bemühungen nicht durch das Coronavirus gestoppt würden. Er sei mit dem UNO-Flüchtlingshilfswerk und den griechischen Behörden in Kontakt.

Andere Länder lehnen eine Aufnahme jedoch ab. Darunter ist Österreich. Das Land gehört zu jenen Staaten, die Athen laut Innenministerium humanitär, personell und mit technischer Ausrüstung unterstützen. Aus diplomatischen Kreisen verlautete, Österreich habe am Freitag erneut den Schutz der Außengrenzen als Priorität betont sowie sich für Hilfe für Griechenland und die Umsetzung des Aktionsplans der EU-Kommission ausgesprochen. Der zuständige Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) blieb wie mehrere seiner Amtskollegen dem Ministerrat aufgrund "dringlicher Verpflichtungen" in Österreich fern.

Kranke Kinder haben Priorität

Deutschland und Frankreich dürften die meisten Flüchtlinge übernehmen - wohl jeweils mehrere Hundert. Für die deutsche Bundesregierung hat die Aufnahme von kranken Kindern mit ihren Familien Priorität. Anschließend sollen unbegleitete Minderjährige - bestenfalls Mädchen unter 14 Jahren - berücksichtigt werden.

Aktuell leben nach Angaben des griechischen Bürgerschutzministeriums mehr als 42.500 Migranten auf Lesbos, Samos, Kos, Leros und Chios - dabei liegt die Kapazität eigentlich bei rund 6.000 Plätzen. Nach Angaben der EU-Kommission sind rund 5.500 von ihnen unbegleitete Minderjährige. Neun von zehn seien 14 Jahre alt oder älter, hieß es unter Berufung auf griechische Behörden.

"Die Niederlande sind bereit, Griechenland jede Unterstützung zu geben, die es braucht", sagte die niederländische Migrationsministerin Ankie Broekers-Knol. "Aber wir sind nicht bereit, Kinder zu übernehmen."

Kroatiens Innenminister Davor Bozinovic betonte, man müsse die Ausbreitung des Coronavirus beim weiteren Vorgehen berücksichtigen. Eigentlich hatte Kroatien, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, auch in Aussicht gestellt, unbegleitete Minderjährige aufnehmen zu wollen.

Auch Schwedens Innenminister Mikael Damberg betonte: "Es ist sehr wichtig, dass wir uns weiter gegenseitig über die Maßnahmen informieren, die wir ergreifen, und den anderen Ländern Ratschläge geben, was wirklich wirkt." So könne man voneinander lernen.

Corona-Grenzmanagement

Zweites großes Thema des Treffens war die Coronavirus-Krise. Dabei will die EU-Kommission Richtlinien für das Grenzmanagement im Rahmen der Bekämpfung des Virus vorlegen. Ein EU-Einreiseverbot für Bürger aus Drittstaaten in den Schengenraum sei nach der EU-Gesetzgebung nicht möglich, so die Innenkommissarin Johansson.

Jedoch könnten sich einzelne EU-Länder zu dieser Maßnahme entschließen und dann mit den anderen Mitgliedern koordinieren. Da an den EU-Außengrenzen regulär die Identität einer Person überprüft wird, könnte zusätzlich ein Gesundheitscheck durchgeführt werden. Bei Symptomen oder bei begründetem Verdacht auf ein Gesundheitsrisiko könnte die Einreise verwehrt werden, erklärte die Schwedin. Quarantäne oder medizinische Behandlung wären in diesen Fällen jedoch besser, räumte sie ein.

An den Binnengrenzen der Europäischen Union seien Gesundheitschecks "jederzeit möglich", so die Kommissarin. Diese werden nicht als Grenzkontrollen gewertet und müssen demnach nicht der EU-Kommission gemeldet werden.

Die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen lehnt die einseitige Einführung von Einreisestopps oder Grenzkontrollen in der EU ab. "Allgemeine Einreisestopps werden von der Weltgesundheitsorganisation nicht als am effektivsten betrachtet." Vielmehr hätten sie starke soziale und wirtschaftliche Auswirkungen.

Bestimmte Kontrollen könnten jedoch gerechtfertigt sein. "Was wir tun können und sollten, ist, Gesundheitschecks durchzuführen." Von der Leyen kündigte dafür Leitlinien an. Diese könnten an den EU-Außengrenzen, an den Binnengrenzen der EU sowie innerhalb einzelner EU-Staaten vorgenommen werden.

Im Kampf gegen die Virus-Ausbreitung hatten zuletzt mehrere EU-Staaten Grenzkontrollen im Schengenraum eingeführt. Dort sind Grenzkontrollen eigentlich abgeschafft; sie können aber in Ausnahmesituationen nach Anmeldung bei der EU-Kommission wieder aufgenommen werden.

Am griechisch-türkischen Grenzübergang bei Kastanies/Pazarkule herrschte Freitagfrüh Ruhe. Am Vorabend hatten abermals zahlreiche Menschen von der türkischen Seite aus versucht, einen Grenzzaun auf der griechischen Seite zu durchbrechen, um illegal nach Griechenland und damit in die EU einzudringen.

Hundert weitere Frontex-Einsatzkräfte nahmen am Donnerstag ihre Arbeit entlang der Landgrenze auf, wie die EU-Grenzschutzagentur am Freitag mitteilte. Fünf Beamte davon stammen aus Österreich. Insgesamt kommen die Behörden aus 22 EU-Mitgliedsstaaten. Die Grenzinterventionen sollen zwei Monate dauern und könnten bei Bedarf verlängert werden.