Der jüngste Schwenk der Türkei in der Flüchtlingspolitik und die dadurch hervorgerufenen Szenen an der türkisch-griechischen Grenze sind laut dem EU-Budgetkommissar Johannes Hahn quasi als Ablenkung von innenpolitischen Problemen in der Türkei zu verstehen. Das sagte der Österreicher im Gespräch mit dem "Standard": "Man muss das aus der innenpolitischen Gemengelage der Türkei sehen."
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sei "mit einem seit langem anhaltenden Kurden-Konflikt konfrontiert, den er nie gelöst hat. Es gibt die Nachwehen des versuchten Staatsstreichs 2016, eine wirtschaftlich schwierige Situation und ein geopolitisches Umfeld, Stichwort Syrien, das alles andere als leicht ist, wobei die Türkei nicht viel dazu beigetragen hat, damit es besser wird. Dazu kommt, dass seine Partei bei den Kommunalwahlen Istanbul und Ankara verloren hat. Auf all das folgt der übliche Reflex: Man sucht sich außerhalb einen Gegner", analysierte Hahn.
Bereits 3,2 Milliarden Euro überwiesen
Laut dem ÖVP-Politiker wurden 3,2 Milliarden der im EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei 2016 vereinbarten sechs Milliarden bereits ausgezahlt. Insgesamt 4,7 Mrd. der sechs Mrd. seien bereits vertraglich fixiert, alle sechs Mrd. "zweckgebunden verplant, das heißt, wir wissen, wofür sie verwendet werden sollen".
Das Geld aus dem Pakt werde nicht einfach und ohne Bedingungen auf türkische Konten überwiesen, betonte der EU-Kommissar, "sondern im Gegenteil via Hilfsorganisationen auf Basis einer genauen Bedarfserhebung und unter strikter Kontrolle der Mittelverwendung. Wir stellen die Mittel nur dort bereit, wo wir einen Bedarf feststellen. In der Mehrzahl der Fälle wird das über internationale Organisationen abgewickelt. Es gibt nur zwei türkische Institutionen, das Gesundheits- und das Bildungsministerium, mit denen wir zusammenarbeiten und auch gute Erfahrungen gemacht haben." Ferner betonte Hahn: "Es läuft wie bei den EU-Strukturfondsmitteln. Wir zahlen erst, wenn die Projekte abgeschlossen sind."
Was zukünftige Mittel an die Türkei für Flüchtlingshilfe betrifft, müsse Ankara für jede weitere Unterstützung Kooperationsbereitschaft zeigen. Es werde über eine weitere Unterstützung und deren Höhe diskutiert. "Falls es beschlossen wird, könnte es dabei um eine Größenordnung von rund einer halben Milliarde Euro gehen. Die Mittel kommen zum Teil aus den Reserven des EU-Haushalts, aber darüber hinaus müssen natürlich auch die Mitgliedsstaaten ihren Teil dazu beitragen", führte Hahn weiter aus.
Laut Hahn sind derzeit an der griechisch-türkischen Grenze kaum syrische Flüchtlinge. Die große Mehrheit komme aus dem Iran, aus Afghanistan und Pakistan. Laut dem EU-Politiker ist ein großer Teil der rund 3,6 Millionen Syrer, die in der Türkei sind, "mittlerweile relativ gut integriert".