1 Was ist 2015 passiert?
Im Jahr 2015 kam es – unter anderem eines Höhepunkts des Krieges in Syrien wegen – zur größten Migrationsbewegung der jüngeren Geschichte Richtung Mitteleuropa. Allein in Österreich suchten in diesem Jahr mehr als 88.000 Menschen, drei Viertel davon aus Afghanistan, Syrien und dem Irak, um Asyl an.
2 Was waren die Folgen?
Das Jahr 2015 gilt als „Stunde null“ der politischen Zeitrechnung der vergangenen Jahre: Die Bilder von Menschenmassen, die, großteils unkontrolliert und unregistriert, Grenzen überschritten und die Länder auf ihrem Weg zu Notfallmaßnahmen zwangen, hinterließen Bilder eines staatlichen Kontrollverlustes. In Österreich gelten der Aufstieg Sebastian Kurz’ und der Erfolg der FPÖ 2017 als Folgen der Migrationsströme.
3 Was wurde aus den Migranten, die 2015 nach Österreich kamen?
Rund die Hälfte der Asylverfahren wurde in den vergangenen Jahren positiv entschieden. Dazu kommen Migranten, die aus anderen Gründen nicht nach Hause geschickt werden können, etwa weil in ihrer Heimat Krieg herrscht. In Summe hat Österreich von 2015 bis 2019 in 111.328 solcher Verfahren Schutz gewährt.
4 Ist Österreich für einen neuen Ansturm wie 2015 vorbereitet?
Im Innenministerium sieht man sich gut vorbereitet – auch, weil man aus der Erfahrung von damals gelernt habe. Als kritisch galten damals Koordination mit Nachbarstaaten, Grenzschutz und die Unterbringung von Asylwerbern.
5 Wie funktioniert die Kommunikation mit den Nachbarstaaten?
Bereits im Herbst 2015 hat Österreich ein Berichtswesen mit den Staaten entlang Migrationsrouten eingeführt. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) will das ausbauen – am Montag hat er 19 Polizisten an Ungarn „verliehen“, um an der serbischen Grenze zu patrouillieren.
6 Und wenn wieder Tausende an Österreichs Grenze stehen?
In der Folge von 2015 wurden Asyl-, Fremden- und Polizeirecht adaptiert. Eine zentrale neue Bestimmung ist das Notverordnungsrecht: Es erlaubt der Bundesregierung, Grenzen komplett für Migranten zu schließen – selbst wenn diese dort Asyl beantragen sollten. (Derzeit haben sie dann das Recht auf ein Verfahren.) Die rot-schwarze Regierung 2016 hat dieses Recht nie ausgeübt – auch, weil fraglich ist, ob so eine Verordnung menschen-, europa- und völkerrechtlich vor den Höchstgerichten halten würde. Außerdem gibt es heute Kontrollinfrastruktur wie den Grenzzaun von Spielfeld – und gezielt für Grenzkontrolleinsätze trainierte Polizeieinheiten.
7 Gibt es heute genug Quartiere?
Im Gegensatz zu 2015, als die Republik über Nacht von dem Bedarf nach Tausenden Quartieren für Asylwerber überrascht wurde, hat Österreich langfristige Mietverträge mit leer stehenden Gebäuden im ganzen Land. Rund 2000 Plätze „Vorsorgekapazität“ hält das Innenministerium auf diese Art. Das „Durchgriffsrecht“ des Bundes, mit dem auch gegen den Willen von Ländern und Gemeinden Asylquartiere errichtet werden konnten, ist aber inzwischen ausgelaufen.
8 Würde die türkis-grüne Koalition eine solche Situation aushalten?
Auf Wunsch der ÖVP enthält der Koalitionspakt eine Klausel, die den Parteien im Fall einer Migrationskrise ausnahmsweise erlaubt, „fremdzugehen“ und mit anderen Parteien Gesetze zu beschließen. Ein Fall könnte sein, dass die ÖVP diese Passage nutzt, um gemeinsam mit der FPÖ einen noch restriktiveren Kurs durchzuziehen. Dass die Koalition eine tatsächliche Ausübung dieses Rechts überleben würde, ist aber unwahrscheinlich.
9 Hat die Regierung weitere Pläne?
Heute werden Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Innenminister Karl Nehammer, Außenminister Alexander Schallenberg und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (alle ÖVP) ein „Maßnahmenpaket“ für Grenzschutz sowie Hilfe vor Ort vorzustellen.
Georg Renner