Die Revolte im Iran scheint sich vorerst gelegt zu haben. Trügt der Schein?
Nava EBRAHIMI: Die Lage im Iran ist wie in einem Druckkochtopf, auf den der Deckel mit Gewalt draufgehalten wird. Die Wut in der Bevölkerung ist groß wie die Not im Land. Die Enttäuschung über das politische System ist enorm. Die Abstände zwischen den Protesten werden immer kürzer.

Bei den Protesten vor Jahresende starben offiziell Hunderte Menschen, die Dunkelziffer ist freilich höher: Hat das Regime damals eine rote Linie überschritten?
Nava EBRAHIMI: Die ist schon länger überschritten, aber es war auffällig, dass das Regime zuletzt mit besonderer Brutalität vorgegangen ist. Die Wut der Iraner auf das Regime wächst. Dazu kommt der Zorn aufgrund der sozialen Ungleichheit: Es gibt im Iran einige wenige, die sich absolut bereichert haben. Im Norden Teherans sieht man nur Luxuskarossen. Das ist von Jahr zu Jahr ärger geworden. Je undemokratischer ein System ist, desto einfacher ist es für jene, die sich bereichern wollen, dies auch zu tun. Die Wirtschaft liegt über Verflechtungen zum großen Teil auch in den Händen der Regierungsvertreter oder in den Händen von Organisationen, die regierungsnah sind. Das ist ein Selbstbedienungsladen.

Was braut sich da zusammen?
Nava EBRAHIMI: Wenn die Menschen nichts mehr zu verlieren haben, wird ihnen alles egal. Bei den Protesten 2009 ging es den Menschen im Vergleich zu heute gut, da hatten sie noch etwas zu verlieren. Da waren zwar auch Millionen auf der Straße, aber sie waren noch nicht bereit, das Leben zu riskieren.

Wieso haben die Menschen nichts mehr zu verlieren?
Nava EBRAHIMI: Bei den Protesten 2009 ging vor allem die städtische Mittelschicht auf die Straße, es ging um Freiheit, Gleichberechtigung, bürgerliche Rechte. Heute geht es ums nackte Überleben. Infolge der US-Sanktionen bekommt man viele Medikamente nicht mehr, die Lebensmittelpreise explodieren.

Wie wird Trump gesehen?
Nava EBRAHIMI: Die Iranerinnen und Iraner trauen ihm nicht. Aber manche finden es gut, dass sich jemand dem Regime entgegenstellt. Denn das Atomabkommen, hätte alles geklappt wie geplant, hätte die wirtschaftliche Lage verbessert und das Überleben des Regimes vorerst gesichert. Eine Eskalation hingegen, spekulieren manche, könnte ihm ein Ende bereiten. Was danach kommen könnte, ist aber ungewiss geworden.