Im Oktober feiern die Vereinten Nationen ihren 75. Jahrestag. Dies sei ein Grund zum Feiern, denn, so sagt der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zur Eröffnung der Münchner Sicherheitskonferenz, diese lange Phase einer Weltgemeinschaft signalisiere Hoffnung nach Jahrhunderten einer anarchischen Staatenwelt. Gleichzeitig würden wir „heute Zeugen einer zunehmend destruktiven Dynamik der Weltpolitik“. Vom Ziel der internationalen Zusammenarbeit zur Schaffung einer friedlicheren Welt „entfernen wir uns von Jahr zu Jahr mehr“, sagt Steinmeier.
Konferenzchef Wolfgang Ischinger ortet dabei auch ein Problem im Weltsicherheitsrat, dem höchsten Gremium der UNO. Der habe sein Ziel, nach Frieden zu suchen, „hoffentlich nicht aufgegeben“. Aber die Signale seien wenig ermutigend. Die Welt erlebe ein Wettrennen der Bewaffnung und eine Sicherheit bedrohende Erwärmung der Erde, weshalb der Klimaschutz erstmals hochrangig auf der Agenda vertreten sei. Ischinger mahnt deshalb ein aktives Handeln aller ein: „Es hilft kein Schulterzucken nach dem Motto: So ist das einfach!“
Düsterer Report über die Weltkrisen
Zur Eröffnung präsentierte Ischinger seinen aktuellen Report über den Sicherheitszustand der Welt, der jährlich Anstoß für die Gespräche der Staatenführer in München ist. Diskutiert wurde am Eröffnungstag vor allem über die „Westlessness“, also das weitverbreitete Gefühl des Unbehagens und der Rastlosigkeit angesichts wachsender Unsicherheit über die Zukunft und Bestimmung des Westens. Und die daraus resultierenden Krisen. Für 2020 hat die Brüsseler Denkfabrik „International Crisis Group“ zehn Konflikte ausgemacht, auf die der Blick heuer gerichtet werden sollte, weil sie globale Trends in vielfacher Weise reflektieren. Dazu gehören die Bürgerkriege im Jemen, in Libyen, Afghanistan und in der Ukraine, der Übergangsprozess in Äthiopien, der Risiko und Hoffnung gleichermaßen in sich trägt, der Kampf in Burkina Faso gegen den IS, der US-Iran-Konflikt inklusive Israel und Saudi-Arabien, der Nordkorea-Streit, der Kashmir-Konflikt sowie der Machtkampf in Venezuela. Da das globale System „in der frühen Phase eines tief greifenden Wandels gefangen ist“, schreibt die Analystengruppe, deuteten die Umstände auf „Verschiebungen in den Beziehungen der Großmächte, die Intensität ihrer Konkurrenz und die Breite der Ambitionen regionaler Akteure“ hin.
1. Cybersecurity
Angriffe aus dem Internet
Konflikte mit konventionellen Waffen erzeugen noch immer mehr Ängste in der Bevölkerung als Angriffe aus dem Internet. Dennoch nimmt die Cybersecurity seit Jahren einen wachsenden Raum bei der Sicherheitskonferenz ein. Das zeigt, wie ernst Militärs und Politiker die Gefahr nehmen. Digitale Kampffelder haben neben dem nichtstaatlichen Terror die asymmetrische Kriegsführung noch verkomplizert.
2. Iran-USA-Atomkonflikt
Erster Siedepunkt des Jahrzehnts
Das neue Jahrzehnt hatte kaum begonnen, da stiegen die Spannungen zwischen den USA und dem Iran bereits auf den Siedepunkt. Der Streit über das Atomprogramm ist derzeit der heißeste Konflikt der Erde, der bereits 2019 gefährlich anwuchs. Der ewige Streit mit dem Erzfeind Saudi-Arabien und die Bedrohungslage Israels machen den Konflikt zum komplexen und gefährlichen Konflikt für eine große Weltregion.
3. Ostasien
China als Gefahr für die Nachbarn
Australiens Ex-Premier Kevin Rudd warnte in der Kleinen Zeitung 2016 davor, dass Europa die Konflikte in Ostasien unterschätze und Korea auf der Rangliste der globalen Sicherheitsthemen ganz oben stehe. Hinzu komme die neue Stärke Chinas. Steinmeier sagt in München: China verstöre seine Nachbarn mit seinem Vorgehen im Südchinesischen Meer und zugleich mit dem Vorgehen gegen Minderheiten im eigenen Land „uns alle“.
4. Syrien
Neue Bedrohung im ewigen Krieg
Möglicherweise gelingt es in München, die aktuell brisanteste Eskalation im Bürgerkrieg in Syrien wieder zu beruhigen. Russlands Außenminister Sergei Lawrow und sein türkischer Kollege Mevlüt Çavuolu sprechen Sonntag miteinander. Ischinger warnte mit Blick auf die jüngsten Zusammenstöße der beiden Gegenspieler in dem Krieg vor einer „ungewöhnlich ernsten“ Lage, die den Krieg noch verschlimmern könnte.
5. Kaschmir
Eingefrorener Konflikt taut auf
Der Streit zwischen Indien und Pakistan schwelt seit 1947 mit zahlreichen Waffengängen. Jahrelang geriet der Konflikt vom internationalen Radar, doch im Vorjahr heizte er sich erneut auf. Beide Seiten scheinen keinen echten Friedensplan zu haben. Einzelanschläge können also die Atommächte schnell an den Rand eines Krieges führen. Verstärkt wird das Problem durch zunehmende nationalistische Töne auf beiden Seiten.
Ingo Hasewend aus München